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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0162
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6. Bewertung der Absetzung in der Historiographie: gefährliche Nähe zum König?

161

„Und so sind zwei Erzbischöfe wegen ihrer Zustimmung zum Ehebruch
ihres Königs mit Recht verstrickt und gefallen". Rund um dieses Argument
bemüht sich der Autor nachzuweisen, dass Gunthar aufgrund seiner schlechten
Charaktereigenschaften (Hochmut, Hybris, Gier) so gehandelt hat.
Auch Regino von Prüm äußert sich ausführlich zu dem Fall Gunthars und
Thietgauds659. Gunthar wird in der Darstellung Reginos von seinem König so
lange unter Druck gesetzt, bis er in der Eheaffäre einlenkt. Lothar habe ihn mit
dem Versprechen geködert, seine Nichte zu heiraten und Gunthar habe aus
„eitler Hoffnung" zugestimmt. Die Nichte Gunthars wird zum König gebracht
und verhöhnt (und von ihm vergewaltigt) und wieder zu ihrem Onkel zurück-
geschickt. Diese Geschichte dient bei Regino sowohl zur Diskreditierung Gun-
thars einerseits als auch des Hofes Lothars II. andererseits. Der machtgierige
Gunthar nutzt bei Regino den als ungebildet und einfältig dargestellten Thiet-
gaud aus660.
In Reginos Augen waren diese Verstrickungen zwischen den Bischöfen und
dem König ein Zeichen für das Ende des Mittelreichs. Die Eheaffäre Lothars II.
und die Absetzung der Erzbischöfe erscheinen als Schatten, die auf die karo-
lingische Linie fielen661.
Mit Reginos Chronicon liegt uns eine der „historiographischen Leitüberliefe-
rungen" für das 9. und frühe 10. Jahrhundert vor, eines der letzten großen ka-
rolingischen Geschichtswerke662. Er interessiert sich sehr für Bischöfe und ihr
Handeln, der Episkopat spielt eine große Rolle. Doch wie generell für die His-
toriographie des 9. Jahrhunderts so gilt auch für Regino, dass er das bischöfliche
Wissen vom eigenen Amt nicht thematisiert, sondern exemplarisch argumentiert
und nicht zwischen Amt und Person trennt. Die Aussagen Gunthars im Pro-
testschreiben 864 über die Apostelnachfolge etwa (alle Bischöfe sind Nachfolger
der Apostel, der Papst steht nicht über den Bischöfen) werden von Regino als
Blasphemie bzw. „Papstlästerung" interpretiert (multa alia blasphemantes eundem
papam). Ihre Hinweise, dass noch nie ein Metropolit ohne Kenntnis des eigenen
Fürsten und der Mitbischöfe abgesetzt worden sei, werden höhnisch als ver-
geblich hingestellt663. Auch wenn Regino ohne Zweifel mit der besonderen
Stellung der beiden Bischöfe als Metropoliten argumentiert (denn nur sie er-
halten das Pallium vom Papst), so thematisiert er dieses kirchenrechtliche Pro-

659 Vgl. dazu Patzold, Episcopus, S. 54 und bes. Airlie, Sad Stories. Reginos Chronik bietet einen
eigenen, neuen Blick auf die karolingische Geschichte: die Welt ist aus den Fugen; Er zeichnet das
Bild einer Welt, deren Geschichte nicht im Einklang steht mit der himmlischen Strukturierung
(S. 121); Aber: die Welt geht auch nach dem Ende der karolingischen Dominanz weiter, die
karolingische Dynastie erscheint als eine historische Erscheinungsform (107 f., 125 f.).

660 Reginonis Chronicon, ad. a. 864, ed. Kurze, S. 81.

661 Die karolingische Zukunft gab es nicht mehr, Regino sah der pluralisierten politischen Welt des
10. Jahrhunderts entgegen. Sein Text ist aus diesem Grund nicht traditionell (vgl. Airlie, Sad
stories, S. 131).

662 Vgl. Patzold, Episcopus, S. 54. Patzold untersucht Regino im Kontrast zu den Annales Regni
Francorum und kann ein gestiegenes Interesse an Bischöfen und ihrem Handeln feststellen.

663 Regino Chronicon, ed. Kurze, S. 83.
 
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