Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0177
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
176

VII. Bischofsabsetzungen bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts

Stellen Bezug. Gegen die beklagten Missstände sollte mit bischöflicher auctoritas
und pastoraler Ermahnung vorgegangen werden. Die Kanones beschäftigen sich
in karolingischer Manier mit der Zusammenarbeit von Königen und Bischöfen,
dem Lebenswandel der Mönche und dem Zustand der Klöster, mit Eigenkirchen
und vor allem mit dem Umgang mit Kirchengut. Die Synode ist vom Umfang
und den behandelten Themen für das 10. Jahrhundert in Westfranken einzig-
artig. Es ist wahrscheinlich, dass Flodoard hier in jungen Jahren mit dem Pariser
Modell des Bischofsamtes vertraut gemacht wurde. Er hat dieses Wissen vom
Bischofsamt in seinem Werk verarbeitet und auf entsprechende Weise über die
Absetzung Ebos von Reims berichtet, wie zunächst zu zeigen sein wird728. Mit
seinem Bericht hat er zweifellos die Mitte des 9. Jahrhunderts bei Ebo ange-
wandten Wissensbestände (unbewusst?) weitergetragen. Aber meine These
lautet, dass er das Wissen nicht nur reproduzierte, indem er die Dokumente der
Zeit abschrieb, sondern er nahm vielmehr eine eigene Anordnung der Texte vor
und erschloss sich so selbst die Geschichte des erfolgreichen Reichsbischofs,
dessen Absetzung 835 das Reimser Bistum noch Jahrzehnte später beschäftigte.
Durch diese Arbeitsweise konstruierte er eine neue Geschichte des Reimser
Erzbischofs Ebo.
Dies evoziert eine ganze Reihe von Fragen: Wenn Flodoard das karolingische
Modell durch das Abschreiben von Texten weitergibt, eignet er es sich auch
selbst an? Nutzt er das Reimser Archiv als Wissensspeicher, aus dem er Wissen
zur Anwendung auf Probleme seiner Gegenwart abgerufen hat729? Spielte
Flodoards Wissen um das Bischofsamt eine Rolle bei seiner eigenen Wahrneh-
mung von zeitgenössischen Bischöfen und bei seiner Deutung von konkreten
Konflikten um Bischofsstühle, die er selbst miterlebt hat? Dies soll anschließend
am Beispiel des Reimser Bistumsstreits zwischen Hugo von Vermandois und
Artold in den 940er Jahren untersucht werden, in den Flodoard persönlich in-
volviert war und dessen Beginn, Verlauf und Beendigung er in seinen beiden
historiographischen Werken auch schildert.
Richer war ein Mönch aus dem Reimser Bischofskloster Saint Remi. Er war
ein Schüler Gerberts in der Reimser Domschule, ist also auch mit den Schriften
aus der Reimser Bibliothek und dem Reimser Archiv ausgebildet worden730. Ab
einem unbekannten Zeitpunkt vor 998 verfasste er seine Historia in vier Büchern,
die er seinem Lehrer Gerbert noch vor dessen Weggang aus dem Westfranken-
reich widmete731. Die Historia ist im Anschluss an Flodoards Historia Remensis
Ecclesiae eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte des westfränkischen
Reiches im 10. Jahrhundert. Richer nun schreibt seine Historia 30 Jahre nach
Flodoards Tod. Lässt sich ein Unterschied zwischen der Schilderung des Bis-

728 Zur Behandlung des Ebo-Falls bei Flodoard vgl. Patzold, Episcopus, S. 353-359.

729 So wie das Archiv auch als Rüstkammer diente, um etwa bei Besitzstreitigkeiten ein entspre-
chendes Arsenal an Rechtssätzen, Informationen aus hagiographischen Quellen und Urkunden
zu erhalten. Vgl. dazu Jaser, Archiv als Rüstkammer.

730 Zu Richer vgl. die Einleitung von Hartmut Hoffmann zu der Edition der Historiae; vgl. auch
Glenn, Politics; Kortüm, Richer.

731 Richer, Historiae, ed. Hartmut Hoffmann, MGH SS 38.
 
Annotationen