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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0210
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7. Zwischenfazit: Vergleich von Richer, Flodoard und den Synodalakten

209

Ebenso wie in dem Libellus Artoldi ist in den Ingelheimer Synodalakten ein
stärkerer Rückgriff auf die karolingischen Vorstellungen vom Bischofs- und vom
Königsamt zu verzeichnen. Jedoch kommt in den Konzilsakten von Ingelheim
mit dem Schutz des Königtums ein neuer Akzent herein. Aber dieses Weiterleben
von Vorstellungen hatte offenbar nicht zur Folge, dass man sich an in der Ka-
rolingerzeit gewählten Verfahren orientierte. Was nicht erkennbar ist, ist eine
Rezeption des typischen Ineinandergreifens von Normen, Wissensbeständen
und ihrer Inszenierung in der Öffentlichkeit.
Auch in seiner eigenen Deutung des Geschehens wendet Flodoard karolin-
gisches Wissen vom Bischofsamt nicht an, um Argumente im Fall einer Abset-
zung und der Demonstration von Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit zu
finden.
Flodoard zementiert also auf einer gewissen Ebene das karolingische Wissen
vom Bischofsamt, aber eben nur in einer bestimmten Textgattung. Er weiß zwar
um die besondere bischöfliche Würde, da er aber selbst kein Bischof war, mag
das Wissen für ihn keine spezifische persönliche Funktion gehabt haben856.
Steht diesem im Text eingeschlossenen karolingischen Wissen nun eine
durch feudale Anarchie geprägte Gegenwart gegenüber? In der Textgattung der
Annalen legt Flodoard großen Wert auf öffentliche Inszenierungen wie Eide und
Unterwerfungen, Geschichtsschreibung orientiert sich an Exempla und nicht an
systematischen Normen. Im Konflikt zwischen Hugo und Artold wurden Ver-
träge und Versöhnungen zwischen den verschiedenen Protagonisten genutzt,
um neue Bindungen zu konstituieren. Laurent Jegou sieht diese Pacta in der
Tradition der vasallitischen Manngänge und deutet sie als durch und durch vom
feudalen Denken geprägt („forme de reconciliation toute feodale"857): Gui, Bi-
schof von Soissons, einer der Prälaten, die Hugo von Vermandois geweiht hatten,
leistet z. B. Ludwig IV. das homgaium und versöhnt sich so auch mit Erzbischof
Artold858. Flodoard setzt diese Form der Versöhnung parallel mit derjenigen auf
dem Konzil von Trier 948, wo eben dieser Bischof von Soissons sich öffentlich
demütigte (Ibd. bei Flodoard). Aufgrund der Vermittlung zweier Bischöfe erhielt
er im Anschluss von Artold die Absolution. Es gibt also zwei Formen von Ver-
söhnung, durch die ein und dieselbe Person (nämlich Gui) mit der weltlichen und
der geistlichen Gewalt widerversöhnt wird: eine durch das homagium und die
andere durch eine humiliatio. Die humiliatio entsprach dabei einer Bitte um Buße
und ist an Gott gerichtet. Wie Jegou betont, ist sie daher mit der bischöflichen
Funktion verbunden859. Doch anders als es die in Ingelheim versammelten Bi-
schöfe in ihrer Parallelisierung von Vergehen gegen Gott, Kirche und König
konzipierten und in den Synodalakten festhielten, gab es in der politischen
Praxis Mitte des 10. Jahrhunderts sehr wohl eine Trennung zwischen dem
weltlichen und dem geistlichen Bereich und unterschiedliche Rituale, um diese
zu demonstrieren. Doch ist dies weniger ein Kennzeichen einer feudalen Epoche,

856 Ganz anders als für den Erzbischof Gerbert von Reims, s. Kapitel Arnulf von Reims.

857 Zitat bei Jegou, Eveque, S. 349.

858 Flodoard, Annales ad. a. 948, ed. Lauer, S. 116.

859 Jegou, Eveque, S. 349f.
 
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