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IX. Fremdsicht auf Bischöfe: Abbo von Fleury und sein Werk
von Reims beobachtet, wie wir aus seinen Briefen an Vertraute wie Arnulf von
Orleans oder Constantin von Micy erfahren. In einem Brief an Constantin von
Micy äußert er sich zur Mission Abbos, beim Papst die Wiedereinsetzung Ar-
nulfs zu erwirken und zu seiner Romreise, die wahrscheinlich im Jahr 994
stattfand1031. In diesem Brief spricht Gerbert von Attacken Abbos auf seine Per-
son1032 und dem Beginn seiner Leiden, die mit der Legation Abbos nach Rom
verbunden gewesen sein dürften1033. Sein Hauptargument für eine Ablehnung
von Arnulfs Restitution ist hier die Pervertierung aller Komponenten, die das
Bischofsamt ausmachten: Die Stabilität des Reiches sei in Gefahr, da potestas,
gravitas und dignitas (Macht, Gewicht und Würde) der Bischöfe negiert würden
durch jene, die eine Absetzung eines Bischofs nicht zulassen wellten, selbst wenn
er verbrecherisch sein möge. Sie weigerten sich zur Kenntnis zu nehmen, was sie
durch das Absetzungsformular Arnulfs selbst bezeugen könnten. Ein Nachfol-
ger sei bereits gewählt und geweiht. Die Consecratoren und der Geweihte seien
Angriffen ausgesetzt. Die Könige selbst erschienen unter der Kritik an dem
Prozess als Sünder. Die res und facta hingen nicht von der Gefälligkeit des
Richters, sondern von der Gewichtigkeit der Anklage ab. Gerberts Tenor lautet:
Arnulf hat ein schweres Verbrechen begangen und ist daher nicht mehr seines
Amtes würdig — durchaus im Einklang mit dem älteren Kirchenrecht und erin-
nert an die Argumente im Fall Ebos, Rothads und Hinkmars von Laon. Die
Anklage spiegelt die auf Konzilien verbreitete Sorge wider, der gesamte Bi-
schofsstand könnte durch das Fehlverhalten eines Einzelnen beschädigt werden.
Gerbert sollte sich noch öfter auf das vor allem von Hinkmar entwickelte Modell
der bischöflichen Binde- und Lösegewalt und deren konkrete Bedeutung im
Konfliktfall beziehen1034. So sprach er den Königen etwa die Fähigkeit ab, Ver-
söhnung zu spenden. Nur die Bischöfe könnten binden und lösen und reuige
Sünder wieder in die Gemeinschaft integrieren1035. Die Bischöfe richteten über
die Amtsbrüder. Der Gehorsam gegenüber Rom sei daher nur mit Einschrän-
kungen zu sehen und von der Eignung des Papstes abhängig, denn letztlich
richte Gott, aber nicht der Papst1036.
1031 Gerbert, Correspondance, Ep. 191, S. 498-500. Zur Datierung der Romreise s. Mostert, Political
Theology, S. 55.
1032 Diese Angriffe auf Gerbert sieht Riche als Möglichkeit, den Papst dazu zu bewegen, der Ex-
emtion Fleury zuzustimmen.
1033 Mostert, Political Theology, S. 55 vermutet, dass Gerbert bereits ahnte, dass seine Könige auf
Druck von Rom hin in der Sache Arnulfs von Reims nachgeben werden und er, Gerbert, sich als
Erzbischof in Reims nicht wird halten können.
1034 Und hat hierfür vor allem das 55-Kapitelwerk, das Hinkmar von Reims im Konflikt mit seinem
Neffen Hinkmar von Laon verfasste, rezipiert. S. dazu das Kapitel „Wissensaufbereitung und
Deutungskämpfe: Arnulf von Reims".
1035 Ep. 217, MGH Cone. VI, 2, S. 467, 3-11 und 468, 7-8.
1036 Gerbert, Ep. 192 an Seguin von Sens. Der Gehorsam gegenüber Rom sei daher mit dieser Ein-
schränkung zu sehen. Bei offensichtlicher Nicht-Eignung des Papstes dürfe man nicht gegen sein
Gewissen handeln, denn Gott richte, nicht der Papst. S. auch Ep. 193 an Notger von Lüttich zu
Konflikt mit Rom. Die Briefe stehen wohl alle in Zusammenhang mit dem Konzil von Mouzon
995.
IX. Fremdsicht auf Bischöfe: Abbo von Fleury und sein Werk
von Reims beobachtet, wie wir aus seinen Briefen an Vertraute wie Arnulf von
Orleans oder Constantin von Micy erfahren. In einem Brief an Constantin von
Micy äußert er sich zur Mission Abbos, beim Papst die Wiedereinsetzung Ar-
nulfs zu erwirken und zu seiner Romreise, die wahrscheinlich im Jahr 994
stattfand1031. In diesem Brief spricht Gerbert von Attacken Abbos auf seine Per-
son1032 und dem Beginn seiner Leiden, die mit der Legation Abbos nach Rom
verbunden gewesen sein dürften1033. Sein Hauptargument für eine Ablehnung
von Arnulfs Restitution ist hier die Pervertierung aller Komponenten, die das
Bischofsamt ausmachten: Die Stabilität des Reiches sei in Gefahr, da potestas,
gravitas und dignitas (Macht, Gewicht und Würde) der Bischöfe negiert würden
durch jene, die eine Absetzung eines Bischofs nicht zulassen wellten, selbst wenn
er verbrecherisch sein möge. Sie weigerten sich zur Kenntnis zu nehmen, was sie
durch das Absetzungsformular Arnulfs selbst bezeugen könnten. Ein Nachfol-
ger sei bereits gewählt und geweiht. Die Consecratoren und der Geweihte seien
Angriffen ausgesetzt. Die Könige selbst erschienen unter der Kritik an dem
Prozess als Sünder. Die res und facta hingen nicht von der Gefälligkeit des
Richters, sondern von der Gewichtigkeit der Anklage ab. Gerberts Tenor lautet:
Arnulf hat ein schweres Verbrechen begangen und ist daher nicht mehr seines
Amtes würdig — durchaus im Einklang mit dem älteren Kirchenrecht und erin-
nert an die Argumente im Fall Ebos, Rothads und Hinkmars von Laon. Die
Anklage spiegelt die auf Konzilien verbreitete Sorge wider, der gesamte Bi-
schofsstand könnte durch das Fehlverhalten eines Einzelnen beschädigt werden.
Gerbert sollte sich noch öfter auf das vor allem von Hinkmar entwickelte Modell
der bischöflichen Binde- und Lösegewalt und deren konkrete Bedeutung im
Konfliktfall beziehen1034. So sprach er den Königen etwa die Fähigkeit ab, Ver-
söhnung zu spenden. Nur die Bischöfe könnten binden und lösen und reuige
Sünder wieder in die Gemeinschaft integrieren1035. Die Bischöfe richteten über
die Amtsbrüder. Der Gehorsam gegenüber Rom sei daher nur mit Einschrän-
kungen zu sehen und von der Eignung des Papstes abhängig, denn letztlich
richte Gott, aber nicht der Papst1036.
1031 Gerbert, Correspondance, Ep. 191, S. 498-500. Zur Datierung der Romreise s. Mostert, Political
Theology, S. 55.
1032 Diese Angriffe auf Gerbert sieht Riche als Möglichkeit, den Papst dazu zu bewegen, der Ex-
emtion Fleury zuzustimmen.
1033 Mostert, Political Theology, S. 55 vermutet, dass Gerbert bereits ahnte, dass seine Könige auf
Druck von Rom hin in der Sache Arnulfs von Reims nachgeben werden und er, Gerbert, sich als
Erzbischof in Reims nicht wird halten können.
1034 Und hat hierfür vor allem das 55-Kapitelwerk, das Hinkmar von Reims im Konflikt mit seinem
Neffen Hinkmar von Laon verfasste, rezipiert. S. dazu das Kapitel „Wissensaufbereitung und
Deutungskämpfe: Arnulf von Reims".
1035 Ep. 217, MGH Cone. VI, 2, S. 467, 3-11 und 468, 7-8.
1036 Gerbert, Ep. 192 an Seguin von Sens. Der Gehorsam gegenüber Rom sei daher mit dieser Ein-
schränkung zu sehen. Bei offensichtlicher Nicht-Eignung des Papstes dürfe man nicht gegen sein
Gewissen handeln, denn Gott richte, nicht der Papst. S. auch Ep. 193 an Notger von Lüttich zu
Konflikt mit Rom. Die Briefe stehen wohl alle in Zusammenhang mit dem Konzil von Mouzon
995.