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XII. Zusammenfassung: Anwendung von Wissen in der politischen Kultur
teiligt. Die Absetzung fand im Zuge eines Prozesses statt und an diesem hatte
auch der Angeklagte nach Vorladung teilzunehmen. Die einzigen Absetzungen,
die von einem Papst vorgenommen worden waren (Gunthar von Köln und
Thietgaud von Trier 863 wurden von Nikolaus I. abgesetzt), fanden ohne ein
formales Verfahren statt. Im Verfahren gegen Rothad von Soissons war der Papst
als Prüfinstanz beteiligt. In Ostfranken gab es keine vergleichbaren Verfahren der
Bischofsabsetzung (s. unten), aber die ostfränkischen Bischöfe und auch die Bi-
schöfe des ehemaligen Mittelreichs waren in die Diskussionen rund um die
Absetzungen in der Francia eingebunden, die Reichsgrenzen wurden so über-
schritten. Eine Absetzung eines westfränkischen Bischofs, nämlich diejenige
Hugos von Reims 948, wurde in Ostfranken verhandelt. Hier waren neben den
oben genannten Akteuren auch päpstliche Legate beteiligt. Ende des 10. Jahr-
hunderts war eine Bischofsabsetzung dann ohne Einbeziehung päpstlicher Le-
gaten nicht mehr möglich, wie der Fall Arnulfs von Reims in den Jahren 991-995
gezeigt hat.
Anlass der Absetzungsverfahren waren immer Konflikte, die Probleme der po-
litischen Ordnung betrafen: das Verhältnis zwischen Königtum und Bischöfen
(typischer Vorwurf lautete Verrat, Eidbruch), Zugriff auf Kirchengut, Verhältnis
zwischen Metropoliten und Suffraganen und die Stellung des Papsttums in den
Frankenreichen. Seit 829 wurde das Verhältnis des königlichen Amtes und des
Bischofsamtes ausführlich von einem Kreis führender Gelehrter diskutiert. Der
Umgang mit dem Kirchengut als dem symbolischen „Gut der Armen" be-
schäftigte ebenfalls beständig Reichsversammlungen und Synoden und zahl-
reiche Kapitularien und Konzilsakten enthalten Informationen sowohl über das
bischöfliche Selbstbild als Verwalter des Guts der Armen als auch über Vorwürfe
des Missbrauchs und der Entfremdung, die Bischöfen gemacht worden sind. Die
Metropolitanrechte waren neben der Rückerstattung von entfremdetem Kirch-
engut das große Thema Hinkmars von Reims. Damit in Zusammenhang stehen
die Überlegungen über den Jurisdiktionsprimat des Papstes und über das Ap-
pellationsrecht von angeklagten und mit Absetzung bedrohten Bischöfen, die in
den Frankenreichen im 9. Jahrhundert angestellt worden sind und ihren Nie-
derschlag unter anderem in den sogenannten pseudo-isidorischen Fälschungen
fanden. Diese Themen betreffen daher grundsätzliche Strukturentwicklungen in
den Frankenreichen vom 9. zum 10. Jahrhundert.
Alle hier für Westfranken und Lothringen im 9. und 10. Jahrhundert unter-
suchten Bischofsabsetzungen und -anklagen drehten sich um das Verhältnis der
Bischöfe zum Königtum. War dieses Verhältnis, aus irgendeinem Grund aus dem
Gleichgewicht geraten, dienten diese Absetzungsverfahren dazu, die politische
Ordnung ausreichend wieder herzustellen — und als Demonstration für die Re-
präsentanten der politischen Ordnung. Gleichzeitig waren die Absetzungen —
sehr viel stärker als Bischofseinsetzungen — Anlass über politische Ordnung
nachzudenken (was generell für Konflikte gilt). Die Spuren dieses „Nachden-
kens" ermöglichen uns Rückschlüsse darauf, wo es „im System knirschte".
Doch was waren adäquate Mittel zur Herstellung von Ordnung und zur
Ahndung von Vergehen der geistlichen politischen Elite? Es gab keine Vorgaben,
XII. Zusammenfassung: Anwendung von Wissen in der politischen Kultur
teiligt. Die Absetzung fand im Zuge eines Prozesses statt und an diesem hatte
auch der Angeklagte nach Vorladung teilzunehmen. Die einzigen Absetzungen,
die von einem Papst vorgenommen worden waren (Gunthar von Köln und
Thietgaud von Trier 863 wurden von Nikolaus I. abgesetzt), fanden ohne ein
formales Verfahren statt. Im Verfahren gegen Rothad von Soissons war der Papst
als Prüfinstanz beteiligt. In Ostfranken gab es keine vergleichbaren Verfahren der
Bischofsabsetzung (s. unten), aber die ostfränkischen Bischöfe und auch die Bi-
schöfe des ehemaligen Mittelreichs waren in die Diskussionen rund um die
Absetzungen in der Francia eingebunden, die Reichsgrenzen wurden so über-
schritten. Eine Absetzung eines westfränkischen Bischofs, nämlich diejenige
Hugos von Reims 948, wurde in Ostfranken verhandelt. Hier waren neben den
oben genannten Akteuren auch päpstliche Legate beteiligt. Ende des 10. Jahr-
hunderts war eine Bischofsabsetzung dann ohne Einbeziehung päpstlicher Le-
gaten nicht mehr möglich, wie der Fall Arnulfs von Reims in den Jahren 991-995
gezeigt hat.
Anlass der Absetzungsverfahren waren immer Konflikte, die Probleme der po-
litischen Ordnung betrafen: das Verhältnis zwischen Königtum und Bischöfen
(typischer Vorwurf lautete Verrat, Eidbruch), Zugriff auf Kirchengut, Verhältnis
zwischen Metropoliten und Suffraganen und die Stellung des Papsttums in den
Frankenreichen. Seit 829 wurde das Verhältnis des königlichen Amtes und des
Bischofsamtes ausführlich von einem Kreis führender Gelehrter diskutiert. Der
Umgang mit dem Kirchengut als dem symbolischen „Gut der Armen" be-
schäftigte ebenfalls beständig Reichsversammlungen und Synoden und zahl-
reiche Kapitularien und Konzilsakten enthalten Informationen sowohl über das
bischöfliche Selbstbild als Verwalter des Guts der Armen als auch über Vorwürfe
des Missbrauchs und der Entfremdung, die Bischöfen gemacht worden sind. Die
Metropolitanrechte waren neben der Rückerstattung von entfremdetem Kirch-
engut das große Thema Hinkmars von Reims. Damit in Zusammenhang stehen
die Überlegungen über den Jurisdiktionsprimat des Papstes und über das Ap-
pellationsrecht von angeklagten und mit Absetzung bedrohten Bischöfen, die in
den Frankenreichen im 9. Jahrhundert angestellt worden sind und ihren Nie-
derschlag unter anderem in den sogenannten pseudo-isidorischen Fälschungen
fanden. Diese Themen betreffen daher grundsätzliche Strukturentwicklungen in
den Frankenreichen vom 9. zum 10. Jahrhundert.
Alle hier für Westfranken und Lothringen im 9. und 10. Jahrhundert unter-
suchten Bischofsabsetzungen und -anklagen drehten sich um das Verhältnis der
Bischöfe zum Königtum. War dieses Verhältnis, aus irgendeinem Grund aus dem
Gleichgewicht geraten, dienten diese Absetzungsverfahren dazu, die politische
Ordnung ausreichend wieder herzustellen — und als Demonstration für die Re-
präsentanten der politischen Ordnung. Gleichzeitig waren die Absetzungen —
sehr viel stärker als Bischofseinsetzungen — Anlass über politische Ordnung
nachzudenken (was generell für Konflikte gilt). Die Spuren dieses „Nachden-
kens" ermöglichen uns Rückschlüsse darauf, wo es „im System knirschte".
Doch was waren adäquate Mittel zur Herstellung von Ordnung und zur
Ahndung von Vergehen der geistlichen politischen Elite? Es gab keine Vorgaben,