Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0336
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1. Beteiligte und Verfahrensablauf bei Bischofsabsetzungen

335

wie ein solches Verfahren auszusehen hatte. Die Ordnung für diese Verfahren
wurde in einem fluiden politischen System erst durch die Praxis entwickelt. Über
die Untersuchung der Absetzungen erhält man daher Zugriff auf die Art und
Weise des „Sichtbarmachens" und des Kommunizierens von politischer Ord-
nung sowie auf die allmähliche Verfestigung, wie sie an der Beteiligung päpst-
licher Legaten deutlich wird1413.
Ein Verfahren wurde mit einer Anklage eröffnet. Es konnten verschiedene An-
kläger mit unterschiedlichen Interessen auftreten. Hauptprotagonisten waren
der König und der Metropolit (in den hier untersuchten Fällen aus dem 9. Jahr-
hundert war das Hinkmar von Reims). Involviert war bei zumindest zwei der
betrachteten Bischofsabsetzungen auch der Episkopat des Frankenreichs, das
heißt der ehemaligen Reichsteile des Frankenreichs. Wie bei Konflikten zwischen
den karolingischen Brüdern, Onkeln und Neffen (üblich war, dass jeweils Un-
terhändler aus den anderen Reichsteilen gewählt wurden, Karl der Kahle wählte
sich Vermittler aus Ostfranken, Ludwig der Deutsche aus Westfranken1414),
konnte der Episkopat aus den anderen Reichsteilen in die Konfliktlösung ein-
gebunden werden. Bei Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier und bei
Rothad von Soissons lässt sich diese Ausweitung beobachten.
Anklage und eigentliche Absetzung konnten getrennt voneinander erfolgen,
es gab Vorverhandlungen und Absprachen. Die Absetzungen fanden im
9. Jahrhundert stets im Rahmen einer Synode und/oder Reichsversammlung
statt, also im Rahmen eines placitum im weitesten Sinne. Die Verhandlungen
konnten sich jedoch über mehrere Versammlungen erstrecken. Die Synoden
tagten im 9. Jahrhundert an königlichen Pfalzorten, d.h. die Absetzungen er-
folgten vor einer Hoföffentlichkeit, die aus Angehörigen der weltlichen und
geistlichen Elite bestand. Der Richtspruch erfolgte durch die Mitbischöfe als
Absetzungssentenz mit Verweis auf kirchenrechtliche Normen, die aus den
verschiedensten Autoritäten gewonnen wurden. Es fand also der Einsatz ge-
lehrten Wissens statt. Doch essentielle Bestandteile des Verfahrens waren neben
dem Normeneinsatz Rituale und symbolische Handlungen. Die Bischöfe speis-
ten ihre standestypischen Instrumente zur Aufrechterhaltung der Ordnung
nämlich Beichte, Buße und Exkommunikation in die Verfahren ein. Damit nah-
men sie eine Kategorisierung von Wissen vor. Sie schufen dieses soziale Wissen
und nutzten gleichzeitig die Bühne der Verfahren für ihre Geltungsansprüche
bezüglich dieses Wissens.
Angeklagte Bischöfe wurden zur Buße aufgerufen und im Falle eines Nicht-
Erscheinens vor der Synode exkommuniziert; bei zwei Absetzungen wurden
geheime Beichten, öffentliche Sündenbekenntnisse sowie als freiwillig darge-
stellte Rücktrittserklärungen inszeniert. Die Vergehen der Bischöfe wurden von
den Mitbischöfen als Sünden gewertet und die Verfahren spiegeln aus bischöf-

1413 Gerade aufgrund der Offenheit versuchten die Verfasser der pseudo-isidorischen Fälschungen
ein geschlossenes System zu suggerieren, das Anklagen gegen Bischöfe erschweren sollte.

1414 Beispiele jetzt bei Röckelein, Altfrid.
 
Annotationen