5. Entwicklung vom 9.-10. Jahrhundert: Bischöfe und Äbte
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rend der Zeit der Kirchenreform1437, da sich das Wissen über Bischöfe und die
Wahrnehmung von Bischöfen im Reformmönchtum veränderte.
Aber bereits im 9. Jahrhundert machte das über die Reichsgrenzen geteilte
gemeinsame Wissen (und die Macht, darüber zu verfügen) die Bischöfe nicht zu
einer einheitlichen Gruppe. Auch wenn über das Wesen des Bischofsamtes ab-
straktes Wissen vorhanden war, so waren damit doch sehr unterschiedliche
Vorstellungen verbunden und eine „Übersetzung" in konkretes politisches
Handeln erfolgte nicht zwangsläufig, wie der Fall Gunthars von Köln und
Thietgauds von Trier gezeigt hat.
Bei den Anklagen wurde auf die ab 829 entwickelten und auf Synoden immer
wieder reproduzierten Vorstellungen rund um das Bischofsamt Bezug genom-
men, da die in den Prozessen erhobenen Vorwürfe untrennbar mit der hohen
Verantwortung der Bischöfe und der Apostelnachfolge zusammenhingen. Die
Untersuchung der Diskussionen hat gezeigt, wie flexibel mit diesem Wissen
umgegangen werden konnte, wie unversöhnlich manche Positionen gegenüber
standen und welche Auswirkungen der allgemeine politische Hintergrund auf
den Ausgang des Absetzungsverfahrens hatte, ja wie offen der Ausgang prin-
zipiell war.
Wir können nur von einer sehr begrenzten Anzahl von Personen etwas über
ihre Deutung der politischen Wirklichkeit in Bezug auf Vergehen der Elite (hier
Bischöfe) erfahren. Im 9. Jahrhundert vor allem von Hinkmar von Reims und
weiteren Bischöfen. Wir kennen die Stellungnahmen einiger Angeklagte (Rothad
von Soissons, Hinkmar von Laon) und ihrer Unterstützer (bei Rothad von
Soissons von den Bischöfen des ehemaligen Mittelreichs, u.a. von den später
selbst abgesetzten Metropoliten Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier)
oder von Beteiligten im Verfahren (von Herard von Tours, aber auch von Karl
dem Kahlen). Bezugssystem war der königliche Hof und die auf den König
bezogene Elite. D.h. dass die Gruppe, die über Akzeptanz der ordnungsstif-
tenden Instrumente entschied, zwar nicht statisch war, aber doch einen recht eng
umgrenzten Personenkreis umfasste. Diese Grundbedingungen änderten sich
im 10. Jahrhundert. Die Bezugssysteme differenzierten sich weiter aus. Mit der
Konsolidierung der monastischen Reformen etablierten sich konkurrierende
moralische Konzepte, die in einer Zeit, die die Trennung zwischen Politik und
Moral nicht kannte, politische Konsequenzen hatten. Das Wissen darüber wie
das Wesen des Bischofsamts beschaffen war und wie ein Bischof sein Amt aus-
üben sollte, spielte zwar weiterhin eine Rolle, aber es gab neue Zugänge zu
diesem Wissen und einen neuen Umgang damit in politischen Fragen.
Die bloße Aufzeichnung von Dokumenten allein reichte noch nicht aus, denn
die Speicherung und Aktivierung der Informationen sind zwei verschiedene
Dinge. Der Zugriff und die Aufarbeitung von Wissen waren an Gruppen und
Orte gebunden. Für die Untersuchung wurden nicht nur die zwei im 10. Jahr-
1437 Das deckt sich mit den Ergebnissen von Laurent Jegou zu dem Bild des Bischofs als Vermittler
und Friedenswahrer.
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rend der Zeit der Kirchenreform1437, da sich das Wissen über Bischöfe und die
Wahrnehmung von Bischöfen im Reformmönchtum veränderte.
Aber bereits im 9. Jahrhundert machte das über die Reichsgrenzen geteilte
gemeinsame Wissen (und die Macht, darüber zu verfügen) die Bischöfe nicht zu
einer einheitlichen Gruppe. Auch wenn über das Wesen des Bischofsamtes ab-
straktes Wissen vorhanden war, so waren damit doch sehr unterschiedliche
Vorstellungen verbunden und eine „Übersetzung" in konkretes politisches
Handeln erfolgte nicht zwangsläufig, wie der Fall Gunthars von Köln und
Thietgauds von Trier gezeigt hat.
Bei den Anklagen wurde auf die ab 829 entwickelten und auf Synoden immer
wieder reproduzierten Vorstellungen rund um das Bischofsamt Bezug genom-
men, da die in den Prozessen erhobenen Vorwürfe untrennbar mit der hohen
Verantwortung der Bischöfe und der Apostelnachfolge zusammenhingen. Die
Untersuchung der Diskussionen hat gezeigt, wie flexibel mit diesem Wissen
umgegangen werden konnte, wie unversöhnlich manche Positionen gegenüber
standen und welche Auswirkungen der allgemeine politische Hintergrund auf
den Ausgang des Absetzungsverfahrens hatte, ja wie offen der Ausgang prin-
zipiell war.
Wir können nur von einer sehr begrenzten Anzahl von Personen etwas über
ihre Deutung der politischen Wirklichkeit in Bezug auf Vergehen der Elite (hier
Bischöfe) erfahren. Im 9. Jahrhundert vor allem von Hinkmar von Reims und
weiteren Bischöfen. Wir kennen die Stellungnahmen einiger Angeklagte (Rothad
von Soissons, Hinkmar von Laon) und ihrer Unterstützer (bei Rothad von
Soissons von den Bischöfen des ehemaligen Mittelreichs, u.a. von den später
selbst abgesetzten Metropoliten Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier)
oder von Beteiligten im Verfahren (von Herard von Tours, aber auch von Karl
dem Kahlen). Bezugssystem war der königliche Hof und die auf den König
bezogene Elite. D.h. dass die Gruppe, die über Akzeptanz der ordnungsstif-
tenden Instrumente entschied, zwar nicht statisch war, aber doch einen recht eng
umgrenzten Personenkreis umfasste. Diese Grundbedingungen änderten sich
im 10. Jahrhundert. Die Bezugssysteme differenzierten sich weiter aus. Mit der
Konsolidierung der monastischen Reformen etablierten sich konkurrierende
moralische Konzepte, die in einer Zeit, die die Trennung zwischen Politik und
Moral nicht kannte, politische Konsequenzen hatten. Das Wissen darüber wie
das Wesen des Bischofsamts beschaffen war und wie ein Bischof sein Amt aus-
üben sollte, spielte zwar weiterhin eine Rolle, aber es gab neue Zugänge zu
diesem Wissen und einen neuen Umgang damit in politischen Fragen.
Die bloße Aufzeichnung von Dokumenten allein reichte noch nicht aus, denn
die Speicherung und Aktivierung der Informationen sind zwei verschiedene
Dinge. Der Zugriff und die Aufarbeitung von Wissen waren an Gruppen und
Orte gebunden. Für die Untersuchung wurden nicht nur die zwei im 10. Jahr-
1437 Das deckt sich mit den Ergebnissen von Laurent Jegou zu dem Bild des Bischofs als Vermittler
und Friedenswahrer.