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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Muthesius, Hermann: Die Entwicklung des künstlerischen Gedankens im Hausbau: Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen in Hagen 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0039

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DIE ENTWICKLUNG DES KÜNSTLERISCHEN GEDANKENS IM HAUSBAU.

tekten hat schon in ihrer Jugend die Milch beider
Richtungen eingesogen. Und wir werden in
absehbarer Zeit eine ähnliche junge Gene-
ration und mit ihr hoffentlich eine ähnliche
Gesundung unserer bürgerlichen Baukunst auf
breiterer Grundlage haben.

Die heutige Lage der bürgerlichen Baukunst
in Deutschland wird demnach hauptsächlich
durch die Hoffnung charakterisiert, die man
auf ihr demnächstiges Gesunden haben kann.
Die Aussichten sind günstig, auf einzelnen
Gebieten melden sich schon die Vorboten
des neuen Frühlings. Zu diesen Gebieten ge-
hört aber gerade der Arbeiterwohnungsbau.
Daß hier einzelne Männer neuerdings sehr viel
Gutes geleistet haben, das beweist die mit diesem
Kongreß verbundene Ausstellung, die mich des
Aufzählens der bisherigen guten Taten überhebt.
Ein Gang durch diese Ausstellung wird zeigen,
wie fruchtreich gerade der eine Entwicklungs-
vorgang, die Aufnahme der Anregung durch
das Bauernhaus, gewesen ist. Es liegt ja auf
der Hand, daß gerade das Arbeiterhaus ein Ge-
biet war, auf das sich die Prinzipien der Bauern-
hausgestaltung am leichtesten übertragen ließen.
Daß die Formung des Arbeiterhauses nach
diesem Grundsatze die letzte Lösung sei, wird
man indessen noch nicht behaupten können.
In unserer vorläufig noch verwirrten und unge-
klärten Kulturlage liefert das Vorbild des Bauern-
hauses aber ein sicheres Geleite, das uns wenig-
stens vor groben Ausschreitungen im großen
Ungewissen bewahrt. Dieses Vorbild muß heute
jedenfalls höchst willkommen sein, indem an
ihm der einfache deutsche Sinn und die un-
beeinflußte naive Volksempfindung klar nieder-
gelegt sind. Da aber der moderne Arbeiter
etwas anderes ist, als der frühere Bauer und
Kleinbürger, so wird sich mit der Zeit auch
sein Haus zu einem besondern Typus entwickeln
müssen.

Noch ein anderer Umstand ist zu be-
denken, wenn man das Arbeiterwohnhaus
nach dem alten Bauernhause gestalten will: die
Bewunderung der Bauernkunst ist eine Sache
der Gebildeten und wird von unseren unteren
Ständen keineswegs geteilt. Wir oktroyieren
unsere Empfindung also eigentlich einem andern
Stande. Und das berührt wieder den schon
eingangs erwähnten charakteristischen Umstand
der Arbeiterwohnhausbaufrage: daß hier ein
Stand für einen andern, der Arbeitgeber für den
Arbeitnehmer, baut. Darin liegen Nachteile wie
Vorteile verborgen. Nachteile insofern, als die
Bauten nicht die Empfindung ihrer Bewohner
widerspiegeln können, Vorteile aber insofern,
als hier aus einer großen Organisation heraus
gewirkt wird, in diesen Bauten also ganz be-
stimmte Absichten, die aus einem einheit-
lichen Willen heraus geboren worden sind, in
großem Umfange durchgeführt werden können.
Hier ist das eigentliche Kulturproblem des

Arbeiterwohnhausbaues gegeben. Unsere großen
Industriellen, unsere Verwaltungen, unsere Bau-
verbände haben ein Mittel in der Hand, tatkräftig
in die Speichen der Entwicklung der künst-
lerischen Kultur einzugreifen. Es handelt sich
dabei vor allem um die allgemeine künstlerische
Kultur. Denn an und für sich wird man sich
sagen müssen, daß das Bestreben, dem Arbeiter
ein geschmackvolles Haus und eine kultivierte
häusliche Umgebung zu schaffen, so lange als
etwas Gesuchtes erscheinen muß, als die Mehr-
zahl unserer sogenannten Gebildeten noch in
geschmackloser Behausung und in kulturloser
Umgebung lebt.

Aber das kann uns nicht davon zurückhalten,
der künstlerischen Bewegung auch auf dem
Spezialgebiete des Arbeiterwohnhausbaues unsere
ganze Förderung zu leihen, und die glücklichen
Anfänge, die hier gemacht worden sind, mit
vollem Herzen zu unterstützen. Es ist gleich-
gültig, wo die Hebel zur Besserung ansetzen,
aber von höchster Wichtigkeit, daß sie an
möglichst vielen Stellen ansetzen. Unsere Aus-
stellung zeigt uns, in welch höchst erfreulichem
Umfange eine reinere und echtere künstlerische
Gesinnung im Arbeiterwohnhausbaue bereits
eingesetzt hat. Welche Fülle beherzigenswerter
Gedanken, welcher Reichtum an segensreicher
Arbeit! Wir fühlen heute alle, daß wir vorwärts
schreiten, die Morgenröte einer besseren Zeit ist
schon am Horizonte sichtbar. Mögen hemmende
Kräfte entgegenwirken, mag die Gleichgültigkeit
beim Gewohnten verharren wollen, eine kleine
Auslese unseres Volkes fühlt heute gemeinsam,
daß eine neue künstlerische Kultur im Entstehen
begriffen ist, deren Entwicklung nicht mehr
aufzuhalten ist. Vielleicht wird schon die
Generation, die nach uns kommt, in ihrem Be-
sitz sein, denn das, was wir mit heißem Ringen
erstreben, wird ihr gewissermaßen schon als
Erbe geschenkt werden. Bei ihr wird der
Wert einer künstlerischen Kultur außer aller
Frage stehen. Das Prinzip der lediglich
materiellen Werte wird abgewirtschaftet haben,
man wird wissen, daß es jenseits der blanken
Nützlichkeit geistige und ethische Werte gibt,
die das Leben eigentlich erst wert machen,
gelebt zu werden. Was ist blanke Nützlich-
keit? Eine stumpfsinnige Vergeudung des
Lebens allein zu dem Zwecke vorgenommen,
um den Unterhalt zum Leben zu gewinnen.
Das ist die Bemerkung, die einst William Morris
auf ihm geäußerte Einwände machte.

In der Kunst findet sich ein Gegenpol zur
blanken Nützlichkeit. Die Kunst wärmt das
Leben an, das durch die frostige Luft des rein
verstandesmäßigen Denkens seine innere Trieb-
kraft zu verlieren droht. Die künstlerische
Frage ist daher eine Frage, die weder aus
dem Programm eines inhaltsvollen Lebens,
noch einer inhaltsvollen Kultur ohne Schaden
ausgeschaltet werden kann.

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