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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jaumann, Anton: Bühnensprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0072

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BÜHNENSPRACHE.

Form der Rede, die nicht nur gleichzeitig, son-
dern direkt unter dessen Einfluß geboren wurde.
Wir haben damit eine neue Konstruktion und
ein neues konstruktives Leben: die innige, tiefe
Verknüpfung der Worte mit der Person, welche
sie spricht und welche in ihnen sich und ihren
gegenwärtigen Seelenzustand ausspricht. Diese
Mitteilung geschieht sowohl durch den Inhalt
der Worte, wie durch deren Form, die, durch
den Affekt bestimmt, hinterher von ihm erzählt.
Es ist Sache des dramatischen Dichters, solche
Momente zu betonen; denn sie sind dem Drama
wesentlich, und auf ihnen beruht ein großer
Teil von dessen spezifischer Schönheit.

Zur Verbindung mit der redenden Person
tritt die Beziehung zum gesamten Drama: Es
ist eine bestimmte Situation auf der Bühne, die
gerade diese Worte hervorruft, und die früheren
Vorgänge wirken noch nach, den psychischen
Zustand des Redners und damit die Gestaltung
der Rede beeinflussend. Sobald aber das Wort
gesprochen, wird es sofort auch selbst aktiv und
übt seine Wirkung auf die Situation, klingt aber
auch noch weiter nach und bedingt den Verlauf
der Handlung mit. Insbesondere ist das Wort
im Drama ein Hauptmittel, durch das die In-
dividuen sich gegenseitig mitteilen, sich Gutes
oder Schlimmes sagen, sich bekämpfen oder
ihren Willen durchsetzen. Das lebhafteste Spiel
von Wirkung und Gegenwirkung entsteht da-
durch: Affekt erzeugt Affekt, Temperament stellt
sich gegen Temperament, und Charakter gegen
Charakter, es ist eine Schlacht, wo jeder Schlag
einer Partei den Gegenhieb des Feindes zur
Folge hat.

Die modernen Dramatiker perhorreszieren
den Monolog, hauptsächlich aus dem Grund,
weil im gewöhnlichen Leben der Mensch, wenn
er allein ist, nicht laut zu reden pflegt, auch,
weil gerade bei Monologen die Gefahr sehr groß
ist, daß die Schauspieler aus dem natürlichen
Spiel herausfallen und gegen das Publikum hin
deklamieren. Es mag dem Dichter manchmal
schwerfallen, alles das, was er sagen will, wirk-
lich ohne Monolog mitzuteilen; aber er ist dann
auch ordentlich stolz darauf, wie z. B. Ibsen,
der in einem Brief an Brandes mit Befriedigung
hervorhebt, daß er in seinem jüngsten Stück
ohne Monolog ausgekommen. Auch wir erkennen
im Monolog ein Manko in Hinsicht auf seinen
dramatischen Wert: es fehlt ihm das wichtige
Moment der Einwirkung auf andere. Damit soll
jedoch nicht geleugnet werden, daß auch dra-
matische Monologe möglich sind, und diese stehen
jedenfalls weit über jenen Szenen, wo mehrere
Personen nacheinander ihre undramatischen
Reden hersagen oder epische Partien mit lyrischen
wechseln.

Wir sprachen eben davon, daß die Worte
von dem, was im früheren Verlauf des Dramas
geschah und gesprochen wurde, in ihrem Inhalt

wie in ihrer Form beeinflußt werden. Genauer,
nur solche innerhalb des Stückes gelegene
Momente dürfen zur Wirkung kommen. Wie
jedes Kunstwerk, ist auch das Drama aus sich
selbst zu verstehen und zu genießen; es sei in
sich selbst fest gegründet, eine abgeschlossene
Welt. Das Bild ist mit dem Rahmen zu Ende;
was die Formen und Farben auf dieser ab-
gegrenzten Fläche uns nicht sagen, das kommt
auch für den künstlerischen Eindruck nicht mehr
in Betracht. Und in jeder Kunst sind gerade
solche Punkte bedroht, im künstlerischen Sinne
tote Stellen zu werden und damit den leben-
digen, in sich verwachsenen Gesamtorganismus
zu unterbrechen und zu schädigen, die auf außer-
halb des Rahmens Gelegenes Bezug nehmen
und daraus erklärt werden wollen. Solche gefähr-
lichen Partien sind im Drama die Erzählungen,
die zur Erledigung der Exposition, zur Mitteilung
des hinter den Kulissen Vorgefallenen so häufig
benutzt werden. Nur zu gern verfallen sie in
den Fehler, den zeitlichen und räumlichen Rah-
men des Stückes zu negieren und damit seine
ästhetisch sehr bedeutsame Wirksamkeit zu
schwächen. Sie können für das Drama nur
dadurch gerettet werden, daß sie ihres epischen
Charakters vollständig entkleidet, daß sie energisch
mit der Handlung verkettet und selbst durch
und durch „dramatisiert“ werden. Durch die
Situation heraufbeschworen, mögen Erinnerungen
den Erzähler überfallen, denen er sich wie von
einer Vision gepackt hingibt. Oder er beabsich-
tige mit ihnen eine Beeinflussung der Hörer, er
bediene sich ihrer als Waffe. Durch solche und
ähnliche Mittel, die dem geborenen Dramatiker
sich in Menge darbieten, ist es möglich, das
Vergangene, das Ferne als Gegenwärtiges in den
Rahmen hereinzuzwingen und dem architek-
tonischen Bau des Dramas als gleichartiges,
aktives, von andern bestimmtes und andere be-
stimmendes Glied einzufügen. Die gleiche Forde-
rung gilt für Ideen, Probleme, verstandesmäßige
Erkenntnisse. Der bloße Vortrag auch der groß-
artigsten Idee, der kühnsten Spekulation, der
tiefsten Wahrheit ist dramatisch wirkungslos.
Doch von der Bühne sollen nur dramatische
Wirkungen ausgehen; sie ist nun einmal keine
Kanzel, kein Katheder, sie ist kein Ort zur Ver-
breitung von Einsicht, Belehrung und guten Rat-
schlägen. Sie gehört der Kunst. Dramatisch
hingegen kann sehr wohl sein das Ringen mit
einem Gedanken, das Fortschreiten zur Erkennt-
nis, das Aufleuchten der Einsicht, der Jubel
über die gefundene Wahrheit. Oder die Be-
geisterung eines Volkes für eine große Idee, oder
das Klipp-Klapp eines logischen Zweikampfes,
wo der Thesis schlagfertig die Antithesis gegen-
übertritt. Dadurch werden die Gedanken für
das Drama gewonnen, sie werden dramatisch.
Und darauf kommt es in erster Linie an, mögen
sie nun richtig sein oder falsch, mögen die

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