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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jaumann, Anton: Bühnensprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0073

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BÜHNENSPRACHE.

sozialen oder kulturellen Ideen, die wir hören,
von einer Minorität oder einer Majorität unserer
Gelehrten anerkannt werden. Aber leider er-
achten es viele unserer Dichter als ihre Haupt-
aufgabe, Probleme zu erörtern und zu klären,
und zwar um des Problems willen, und leider
beschäftigen sich auch viele unserer Kritiker
vor allem damit, die Problemlösung des Dich-
ters, intellektuell, zu prüfen und nach logischen
Fehlern in ihr zu spüren. —

In der Natur verhält es sich so, daß alles
Leben sich eine entsprechende Form schafft,
und zwar ist diese Form durchaus bedingt, das
heißt jenes Leben könnte sich nicht ebensogut
in irgend eine andere kleiden. Form und Leben
gehören notwendig zusammen. Storm sagt ein-
mal: ,,Die Form ist der Kontur, der den leben-
digen Leib umschließt; die beiden könnten nicht
getrennt werden, ja nur mit leisem Widerstreben
kann man die zwei Worte aussprechen, Form
und Inhalt, die begrifflich zerreißen, was ewig
verbunden ist.“ Infolge dieses innigen, unlös-
lichen Verhältnisses zwischen Form und Inhalt
ist es auch möglich, aus der äußeren Erschei-
nung auf das im Innern treibende Leben zu
schließen und sein Weben und Walten mit-
zuleben und zu genießen. Ähnlich nun werden
wir auch das dramatische Leben, von dem oben
die Rede war, nur dann wahrnehmen und ge-
nießend verfolgen können, wenn es in der Form
der Rede zu einem adäquaten Ausdruck kommt.
Es gilt also in unserm Falle nicht, die richtigste
oder die kürzeste oder die poetischste Fassung
eines Gedankens zu finden, sondern die, welche
sich als notwendiger Kontur jenes dramatischen
Lebens ergibt.

Jedes Wort enthält an sich ein dramatisches
Moment; es steckt Leben darin, jenes Leben,
dem es seine Entstehung, sein Wortdasein ver-
dankt. Dieses ist gleichsam in die Lautzusammen-
stellung, die an sich ja sinn- und leblos, hinein-
gebannt, und erwacht und entfaltet sich nur
dann, wenn wir beim Sprechen zugleich den
Sinn der Laute, den Sinn der Worte uns vor-
stellen. Mit jedem Worte ist ein Stück Leben
gemeint, wir können es auf uns wirken lassen,
wie das mit den Augen geschaute. Da blüht und
duftet es aus dem Wort „Rose“, ein Streicheln
liegt in „sanft“ usw. Dieses kostbare, den Worten
eigentümliche Leben nun darf auf der Bühne
nicht verloren gehen; im Gegenteil, wir müssen
ihm freien Spielraum lassen, wir müssen es
nähren und steigern. Und das gelingt vor allem
dadurch, daß das Wort dort in der Situation,
im Dialog verwendet wird, wo es seiner Natur
nach sich ausleben und entfalten kann. Der
Architekt wird einen behauenen Felsblock nur
da in seinem Bau anbringen, wo das konstruk-
tive Leben, das in seiner Form sich ausdrückt,
in die Gesamtkonstruktion hineinpaßt; hat der
Stein die Gestalt einer Pyramide, so wird er

ihn etwa als oberen Abschluß benutzen, als Aus-
läufer einer vertikalen Bewegung. So sind auch
die Worte der Sprache behauene Felsblöcke, in
die ein bestimmtes Leben gebunden ist. Würde
der Architekt die Pyramide an einer beliebigen
Stelle im Bau einmauern, so wäre sie selbst
unverständlich und würde auch die Wirkung
der Umgebung stören.

Gleich den einzelnen Worten hat auch jede
Wortzusammenstellung, jede Satzkonstruktion ihr
individuelles dramatisches Moment. Des Dich-
ters Aufgabe ist es,' jene Wort- und Satzkonstruk-
tionen zu wählen, deren Leben dem dramatischen
Leben, das sie ausdrücken sollen, genau ent-
spricht. Dann erst ist die innigste Verbindung
zwischen der Handlung und den Worten, zwi-
schen dem Inhalt und der Form geschaffen: das
Wort wächst aus dem Drama, der Situation,
den Charakteren, den Affekten heraus, wie der
Ton aus dem geschlagenen Instrument; je stärker
der Schlag, desto stärker auch der Ton. Die
innere Kausalität, die Dramatik der inneren
Handlung wird sich dann auch im Äußern, in
der lautlichen Erscheinung unmittelbar und über-
zeugend offenbaren. Und das ist wichtig, denn
alle Kunst arbeitet mit solchen sinnlich wahr-
nehmbaren Äußerlichkeiten, sie teilt sich durch
Erscheinungsformen mit und hat eben die Kulti-
vierung der Erscheinung, die Ordnung der Außen-
welt, die Entfaltung und Steigerung des Lebens
durch äußere Mittel als Aufgabe.

Damit ist dem Sinnlichen in der Kunst eine
große Bedeutung zugesprochen: Im Theater ist
es neben dem Gesicht vor allem das Gehör, das
Eindrücke empfängt. Dort oben auf den Brettern
läuft nicht einfach ein Stück Leben ab, ganz
unbekümmert um alle andern Menschen, die
nicht direkt dabei beteiligt sind, sondern man
spielt vor einem Publikum und spricht mit der
Absicht, von ihm gehört zu werden. Wenn in
der Malerei, die sich an die Augen wendet, also
Linien-, Flächen-, Farbenkunstwerke schafft, bei
der Wiedergabe der Wirklichkeit das farbige
Moment besonders betont wird, so gilt es im
Theater, wo das Gehör zur Aufnahme dient,
vor allem die lautliche Seite zu pflegen. Die
verschiedenen Erscheinungen der Tonwelt sind
die Elemente, die zu verarbeiten. Nun haben
wir allerdings schon eine spezielle Kunst der
Töne, die Musik. Soll mit ihr das Drama wett-
eifern? Das Drama, dessen Mittel auf diesem
Gebiet gegenüber der Musik doch sehr beschränkt
sind? Denn es stehen ihm nur die Töne, die
Laute zur Verfügung, die beim gewöhnlichen
Sprechen in Gebrauch sind. Aber man rechnet
doch auch die Schwarzweißkunst im weitern
Sinne zur Malerei, und dürftiger als die Farben
dieser Zeichenmethode ist auch nicht dieTon-
welt des Dramas. Da haben wir den Wechsel
der Vokale und Konsonanten, das Steigen und
Fallen der Stimme, die Stimmfarbe, das Zu- und

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