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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jacques, Norbert: Pappeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0076

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PAPPELN.

Und wenn ich zwischen den Pappeln durch-
schaue, dann seh ich, wie drüben die zwei
Landspitzen bei Dingelsdorf und die der Mainau
mit sanften weichen Schrittchen in den See
gleiten. Feine Säulchen, die beizeiten in die
Luft übergehen und subtile Konturen haben,
stehen darauf, vereinzelt mit einer innigen lieb-
reizenden Erhabenheit aus der Seele der Land-
schaft gewachsen. Die Insel Mainau, deren
südländisch kultiviertes Eden sich mählich und
mählich in den See hinein abstuft, hat gerade
dort, wo der dünnste Landstreifen im See ver-
schwimmen will, wie einen Warteturm eine
einsame herrliche Pappel aufgestellt, die, im
Licht und in der Luft der Wasser stehend, von
weither in ihrer Schönheit sichtbar ist.

Und wenn die vergoldete Prunklaterne, die
neben der Pappel am Schifflandeplatz sich bläht,
nicht gerade so vom richtigen Protzgeblüt wäre,
sie hätte sich schon lange einmal nachts aus
Scham in den See gestürzt. -— Aber bei so was
ist der Schönheitssinn ja nicht zu erwarten.

* *

*

Säulen, Türme . . .

Denkmäler! — denn das sind die Pappeln
am Bodensee auch.

Keine Denkmäler, wie alle die, mit denen
die Menschen sich vermessen, wo ein Stück
reiner Erdenschönheit ist, es zu vermenschlichen!
Aber Denkmäler, die Kinder der Erdenseele sind,
schlank aus ihr gewachsen, mit Ernst und Schön-
heit in ihr wurzelnd. — Wo gibt es solche
Denkmäler?

Aber die Menschen könnten zu ihnen in die
Schule gehen, könnten an ihnen schauen lernen,
Umrisse und Linien, Flächen — — lernen, wie
die Natur will, daß sie geschmückt werde.
(Meistenteils tut das ja nicht gerade not, aber
man darf nicht engherzig sein und dem bißchen
Menschlichen alle Wege verbarrikadieren wollen.)

Zum Beispiel. Wenn man im Untersee auf
die Insel Reichenau geht, aus der, wie hinter
verschlossenen Augenlidern heraus, ein Jahr-
tausend deutscher Kultur in ewig totem Leben
blickt, dann muß man durch einen langen Weg
Pappeln hindurch. Zu beiden Seiten von uns
erheben sich die Bäume . . . Ich weiß nicht,
mir stehen sie da wie eine hohe Allee von
Trauerfackeln, betend: O, nimm dein Herz in
die Hand und opfere! Sei fromm und voll welt-
fremden Sinnes! Gräber warten dort, die deinem
Leben vieles gegeben haben, was an Schönheit
besteht!

Und im Herbstwald in den Hängen des
Bodan, die in den Ueberlinger See fallen, in dem
rostbraunen Reif der sterbenden Wälder behalten
die Pappeln lange bis zum Anfang des Winters
hellgelbe Kerzenflammen, die in langen Reihen
matt, müde und einsam glühen, wie in einer
verlassenen Kathedrale . . .

Bisweilen türmt an der Straße ein Felsen
seine gelbe Wucht, und oben an den Rand ge-
rückt steht stumm und ernst eine gewaltige
Pappel, und der tiefblaue Himmel segnet ihren
tiefgrünen Ernst. Das ist Böcklin. Oder viel-
mehr umgekehrt. — Aber man erlebt schauernde
Erinnerungen an die monumental farbigen, kost-
baren Welten des toten Malers.

Wo von den Mutterbergen des Linzgaus
und des Hegaus sich kleine runde, behäbig breit-
füßige Hügel losgetrennt haben und auf den
See zulaufen, nackt, das Fell nur von Saatfurchen
gestreift, ohne Haus — da stehen oft Pappeln
ganz oben. Eine allein — — zu zwei, drei bei-
sammen. Niemand kümmert sich um sie. Die
Menschen müssen trachten, mit ihren unechten
Villen den traulichen, reizvoll einfachen alten
Bodenseehäusern untreu zu werden und die
Ufer ihres Meeres zu verunzieren, und haben
für die Pappeln keine Zeit. Aber die sorgen
selber für ihr Fortkommen und für Nachwuchs,
und bevor sie ein Sturm zu Tode begräbt, haben
sie ihre Kinder neben sich gestellt. — Solche
Pappeln stehen wie einsam ragende Denksäulen
hier und dort im hohen Lande und haben etwas
so Einfaches, eine so schlichte Kraft der Natür-
lichkeit. Ihre ernste Schönheit wird eine stumme
Mahnung.

Ach, daß die Menschen sie nicht verstehen! —

Oft noch sieht man alte Bodenseehäuser
mit grünen Fensterläden, altgebräuntem hohem
Ziegeldach, hinten in einem Obstbaumgarten.
Und vor das Haus stellt sich eine Reihe Pappeln:
ganz, ganz feine, körperlose Götterfiguren, die
einen Park heimlich machen sollen, Ideen von
Liebe, von Naturanbetung, von Dank hinein-
zaubern sollen. Eine eigne Welt, die lieblich
abgeschlossen liegt; eine traute verführerische
Idylle; keusch, daß man beten muß. So einfach,
so tief, so in aller Liebe in unsere Gottheit ,,Erde“
hineingewachsen — — —

Ach ja, Pappeln am Bodensee!

* *

*

Aber erst wenn die Pappeln menschlich
werden!

Wenn sich ihre ragende Denkmalsstarre in
Leben umwertet, in Liebe! Wenn der Wind
kommt, leise anfangs, wollüstig durch ihre
Glieder streichelnd, daß sie, liebliche kleine
Mädchen, ihn mit ihren Gertenleibern harmlos
spielen lassen. Und wenn dann der Wind zum
Sturm wird und der Regen seine wilden Tränen
in die Pappeln peitscht, der Sturm sie anfaßt
und sie entwurzeln will, sie dem See entreißen,
sie zu Boden schleudern will, sie morden will —
denn die Stürme des Bodensees sind rohe Ge-
sellen und wollen brutal allein den See beherr-
schen, tyrannenhaft!

Ach, wie sich dann die Pappeln wehren!
Wie sie, keine Erniedrigung scheuend, sich

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