ADALBERT STIFTER.
vier Geschwistern bald einen Stiefvater. Obgleich
das Verhältnis zu diesem nicht gut gewesen
sein soll, sog Stifter in dem engen Elternhaus
jene Liebe zu den Blutsverwandten, jenen immer
mehr sich vertiefenden Familiensinn ein, der
ihn für alle Folge umspann und fast aus jeder
Seite seiner Werke spricht. Er vergötterte die
Mutter, die ihm bis in sein spätes Mannesalter
erhalten blieb; er kannte keine lieberen Spiel-
gefährten als die jüngeren Brüder, und er blieb
ihnen und den Stiefgeschwistern zeitlebens ein
aufopfernder Freund und Berater. Im Vaterhaus
stand er aber auch unter einer besonders leb-
haften Beeinflussung durch Greise, die für sein
künftiges Leben und Schaffen bedeutungsvoll
blieb. Die Großmutter Ursula Stifter wirkte
durch die Fülle von Liedern und Sagen, die
ihrem Mund entquoll, befruchtend auf des Kindes
Gemüt und Phantasie; in seiner Erzählung ,,Das
Heidedorf“ hat ihr der Dichter das schönste
Denkmal gesetzt. Nicht minder entscheidend
griffen die beiden Großväter in sein Leben ein;
der eine, dem wir in Stifters Erzählung „Granit“
wieder begegnen, wurde der eigentliche Erzieher
des Enkels, dem andern ist es zu danken, daß
trotz manch ungünstiger Zensur dem Enkelsohne
der Zutritt zu höheren Schulen eröffnet wurde.
So war Adalbert in seiner frühen Kindheit ein
versonnener Junge, dem jeder Sinneneindruck
wunderlich lag und tief nachklang, und der in-
mitten eines Schatzes von eifrig gesammelten
Steinchen und Scherben sein Wesen trieb. Erst
die Schule, die Volksschule in der Heimat und
später das geistliche Gymnasium zu Krems-
münsterin Oberösterreich, brachte einen frischen
jungenhaften Zug in Adalberts Wesen; verstän-
dige Lehrer erschlossen ihm das Reich der
Töne; Stift und Pinsel wurden ihm in die un-
gelenke Hand gedrückt, eine nicht gewählte
aber reichliche Lektüre ließ ihm unbekannte
Welten erstehen. Einen festen und innigen
Christenglauben nahm er von der geistlichen
Lehranstalt ins Leben mit. Und bald umbrauste
den einundzwanzigjährigen Sohn des stillen
Böhmerwaldes das Großstadtleben in allenTönen.
Der Wiener Studiosus gehörte der Juristenfakul-
tät an,belegtenaturwissenschaftlicheVorlesungen,
hauste als Bohemien, gab Unterrichtsstunden und
wurde als Lehrer und Erzieher bald so sehr
geschätzt, daß er mit beispielloser Geschwindig-
keit in den vornehmsten aristokratischen und
den besten bürgerlichen Salons heimisch wurde
und für Lebensdauer mit seinen Schülern von
damals, jungen Aristokraten, Diplomaten, reichen
Bürgerssöhnen, in den allerinnigsten Beziehungen
verblieb. So kam er auch bald genug mit
Männern wie Lenau, Anastasius Grün (Graf
Auersperg) und dem von ihm warm verehrten
Grillparzer in Berührung. Auch die Liebe nahte
sich dem jungen Musensohn, aber Amors Pfeil
traf ihn nicht in einem der glänzenden Wiener
Säle, er wurde unversehens aus dem Schatten
des heimischen Waldes abgeschnellt. Er hat die
schöne Fanni Greipl aus dem Böhmerwaldflecken
Friedberg, die einen andern nahm, als der
cand. phil. Stifter seine Examina verbummelte,
niemals vergessen, aber aus dem bitter erregten
und dabei etwas verstiegenen Ton seiner Liebes-
briefe spricht von vornherein geringe Zuversicht
auf den Besitz der Geliebten. Dieser Liebe
folgte die Bekanntschaft mit Amalie Mohaupt,
der hübschen Tochter eines Unteroffiziers, und
dieses Verhältnis führte endlich zur Ehe. Zweifel-
los war diese Frau von geringem Bildungsgrad
und ihrem Gatten in keiner Weise kongenial,
aber ebenso gewiß hat der Dichter durch volle
dreißig Jahre in überaus glücklicher Ehe mit
ihr gelebt. Seine Liebe, fast möchte man sagen
auch seine Verliebtheit, steigert sich mit den
Jahren; die Silberhochzeit ist ihm ein Tag des
stillen Dankgebetes; noch in seinen letzten Jahren
richtet er wundervolle Briefe, die einem Born
von Glück und Liebe zu entquellen scheinen,
an die Gattin, und ein Leben lang ist er bemüht,
durch die zarteste Rücksichtnahme, den feinsten
Takt die Stellung seines Weibes in den Augen
der Welt zu heben und zu festigen. Hatte sich
auch die Wiener Gesellschaft von 1837 über die
Mißheirat des gehätschelten Kandidaten ,.skan-
dalisiert“, mochte die verwitwete Frau Hofrat
mit ihren Klagen über das kostbare Hausgerät
und die andern noblen Passionen des dahin-
geschiedenen Gatten den Besucher etwas säuer-
lich angemutet haben — nichts berechtigt zu
zweifeln, daß die kleine saubere Modistin in
ihrer pedantischen Hausmütterlichkeit die rechte
Frau für den großen Dichter war.
Die verwitwete Frau Hofrat! Wir haben es
verraten: Adalbert Stifter hat es bis zum k. k.
österreichischen Hofrat gebracht. Aber freilich,
der Weg zu diesem Endziel war lang und steinig,
und von der „Hofräterei“ (Heinescher Prägung)
war vorläufig nichts zu merken. Der ungeprüfte
32jährige Lehramtskandidat konnte trotz einfluß-
reicher Verbindungen keine Lehrstelle mehr er-
halten, und so tat er, wie Gottfried Keller getan,
er ging unter die Maler. Wir haben erwähnt,
daß ihm schon von der Schule her der Zeichner
im Blut stak, und mit dem ihm eigenen un-
erhörten Fleiß hat er sich zeitlebens der Malerei
gewidmet, Wolkenstudien und Lichteffekte un-
ermüdlich aufs Papier gepinselt, eine Unzahl
friedlicher Landschaftsbildchen, harmloser Ve-
duten in dürftiger Technik an Freunde ver-
schenkt, einzelne auch ausgestellt und verkauft,
Hekatomben aber den zerstörenden Flammen
geopfert. Ein Tagebuch aus späteren Jahren,
da er, längst von der Gilde geschieden, in seinen
Mußestunden Allegorien malte, registriert durch
volle 13 Jahre sein heißes künstlerisches Be-
mühen: wie er an diesem Tage so viel Stunden
und so viel Minuten an der ,,Ruhe“ und zwar
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vier Geschwistern bald einen Stiefvater. Obgleich
das Verhältnis zu diesem nicht gut gewesen
sein soll, sog Stifter in dem engen Elternhaus
jene Liebe zu den Blutsverwandten, jenen immer
mehr sich vertiefenden Familiensinn ein, der
ihn für alle Folge umspann und fast aus jeder
Seite seiner Werke spricht. Er vergötterte die
Mutter, die ihm bis in sein spätes Mannesalter
erhalten blieb; er kannte keine lieberen Spiel-
gefährten als die jüngeren Brüder, und er blieb
ihnen und den Stiefgeschwistern zeitlebens ein
aufopfernder Freund und Berater. Im Vaterhaus
stand er aber auch unter einer besonders leb-
haften Beeinflussung durch Greise, die für sein
künftiges Leben und Schaffen bedeutungsvoll
blieb. Die Großmutter Ursula Stifter wirkte
durch die Fülle von Liedern und Sagen, die
ihrem Mund entquoll, befruchtend auf des Kindes
Gemüt und Phantasie; in seiner Erzählung ,,Das
Heidedorf“ hat ihr der Dichter das schönste
Denkmal gesetzt. Nicht minder entscheidend
griffen die beiden Großväter in sein Leben ein;
der eine, dem wir in Stifters Erzählung „Granit“
wieder begegnen, wurde der eigentliche Erzieher
des Enkels, dem andern ist es zu danken, daß
trotz manch ungünstiger Zensur dem Enkelsohne
der Zutritt zu höheren Schulen eröffnet wurde.
So war Adalbert in seiner frühen Kindheit ein
versonnener Junge, dem jeder Sinneneindruck
wunderlich lag und tief nachklang, und der in-
mitten eines Schatzes von eifrig gesammelten
Steinchen und Scherben sein Wesen trieb. Erst
die Schule, die Volksschule in der Heimat und
später das geistliche Gymnasium zu Krems-
münsterin Oberösterreich, brachte einen frischen
jungenhaften Zug in Adalberts Wesen; verstän-
dige Lehrer erschlossen ihm das Reich der
Töne; Stift und Pinsel wurden ihm in die un-
gelenke Hand gedrückt, eine nicht gewählte
aber reichliche Lektüre ließ ihm unbekannte
Welten erstehen. Einen festen und innigen
Christenglauben nahm er von der geistlichen
Lehranstalt ins Leben mit. Und bald umbrauste
den einundzwanzigjährigen Sohn des stillen
Böhmerwaldes das Großstadtleben in allenTönen.
Der Wiener Studiosus gehörte der Juristenfakul-
tät an,belegtenaturwissenschaftlicheVorlesungen,
hauste als Bohemien, gab Unterrichtsstunden und
wurde als Lehrer und Erzieher bald so sehr
geschätzt, daß er mit beispielloser Geschwindig-
keit in den vornehmsten aristokratischen und
den besten bürgerlichen Salons heimisch wurde
und für Lebensdauer mit seinen Schülern von
damals, jungen Aristokraten, Diplomaten, reichen
Bürgerssöhnen, in den allerinnigsten Beziehungen
verblieb. So kam er auch bald genug mit
Männern wie Lenau, Anastasius Grün (Graf
Auersperg) und dem von ihm warm verehrten
Grillparzer in Berührung. Auch die Liebe nahte
sich dem jungen Musensohn, aber Amors Pfeil
traf ihn nicht in einem der glänzenden Wiener
Säle, er wurde unversehens aus dem Schatten
des heimischen Waldes abgeschnellt. Er hat die
schöne Fanni Greipl aus dem Böhmerwaldflecken
Friedberg, die einen andern nahm, als der
cand. phil. Stifter seine Examina verbummelte,
niemals vergessen, aber aus dem bitter erregten
und dabei etwas verstiegenen Ton seiner Liebes-
briefe spricht von vornherein geringe Zuversicht
auf den Besitz der Geliebten. Dieser Liebe
folgte die Bekanntschaft mit Amalie Mohaupt,
der hübschen Tochter eines Unteroffiziers, und
dieses Verhältnis führte endlich zur Ehe. Zweifel-
los war diese Frau von geringem Bildungsgrad
und ihrem Gatten in keiner Weise kongenial,
aber ebenso gewiß hat der Dichter durch volle
dreißig Jahre in überaus glücklicher Ehe mit
ihr gelebt. Seine Liebe, fast möchte man sagen
auch seine Verliebtheit, steigert sich mit den
Jahren; die Silberhochzeit ist ihm ein Tag des
stillen Dankgebetes; noch in seinen letzten Jahren
richtet er wundervolle Briefe, die einem Born
von Glück und Liebe zu entquellen scheinen,
an die Gattin, und ein Leben lang ist er bemüht,
durch die zarteste Rücksichtnahme, den feinsten
Takt die Stellung seines Weibes in den Augen
der Welt zu heben und zu festigen. Hatte sich
auch die Wiener Gesellschaft von 1837 über die
Mißheirat des gehätschelten Kandidaten ,.skan-
dalisiert“, mochte die verwitwete Frau Hofrat
mit ihren Klagen über das kostbare Hausgerät
und die andern noblen Passionen des dahin-
geschiedenen Gatten den Besucher etwas säuer-
lich angemutet haben — nichts berechtigt zu
zweifeln, daß die kleine saubere Modistin in
ihrer pedantischen Hausmütterlichkeit die rechte
Frau für den großen Dichter war.
Die verwitwete Frau Hofrat! Wir haben es
verraten: Adalbert Stifter hat es bis zum k. k.
österreichischen Hofrat gebracht. Aber freilich,
der Weg zu diesem Endziel war lang und steinig,
und von der „Hofräterei“ (Heinescher Prägung)
war vorläufig nichts zu merken. Der ungeprüfte
32jährige Lehramtskandidat konnte trotz einfluß-
reicher Verbindungen keine Lehrstelle mehr er-
halten, und so tat er, wie Gottfried Keller getan,
er ging unter die Maler. Wir haben erwähnt,
daß ihm schon von der Schule her der Zeichner
im Blut stak, und mit dem ihm eigenen un-
erhörten Fleiß hat er sich zeitlebens der Malerei
gewidmet, Wolkenstudien und Lichteffekte un-
ermüdlich aufs Papier gepinselt, eine Unzahl
friedlicher Landschaftsbildchen, harmloser Ve-
duten in dürftiger Technik an Freunde ver-
schenkt, einzelne auch ausgestellt und verkauft,
Hekatomben aber den zerstörenden Flammen
geopfert. Ein Tagebuch aus späteren Jahren,
da er, längst von der Gilde geschieden, in seinen
Mußestunden Allegorien malte, registriert durch
volle 13 Jahre sein heißes künstlerisches Be-
mühen: wie er an diesem Tage so viel Stunden
und so viel Minuten an der ,,Ruhe“ und zwar
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