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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Rüttenauer, Benno: Neuere Erwerbungen der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0249

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Charles Schuch. Stilleben.

NEUERE ERWERBUNGEN DER
NATIONALGALERIE.

Von BENNO RÜTTENAUER.

In zwei deutschen Hauptstädten hat man
der neuen Kunst — einstweilen die Kunst des
XIX. Jahrhunderts — einen besonderen Palast
gebaut, und beide sind wenig glücklich aus-
gefallen. In München steht neben der alten
die neue Pinakothek; sie ist in ihrer äußeren
Erscheinung wie in ihrer inneren Einrichtung
ebenso unbeholfen und plump, wie die alte
monumental, graziös und zweckmäßig ist. Es
scheint fast, als ob sich in dem Stil der beiden
Paläste eine Wertung ihres Inhalts aussprechen
solle. Von allen Kunstpalästen der Welt, die
mit Vorbedacht ihres Zweckes geschaffen
wurden, ist vielleicht die alte Pinakothek der
schönste und rationellste, wie er zugleich, wenn
ich nicht irre, der älteste ist; er hat sogar den
Parisern jüngst, bei der teilweisen Umgestaltung
des Louvre, unverhohlen als Muster gedient.
Die neue Pinakothek dagegen ist nach außen
ein toter Kasten, und vom Innern läßt sich
nicht viel Besseres sagen.

Die Berliner Nationalgalerie wirkt nach
außen unbestreitbar monumental. Aber gerade
ihre strenge Form eines griechischen Tempels
läßt schon vom Innern nicht viel Günstiges
erwarten. Der griechische Tempel war keine
Raumschöpfung. Er wollte nur, ganz ähnlich
der Statue, als beseelte Masse wirken, nicht
als Raum, sondern als Bild im Raum; und das
Bild des Gottes war das Einzige, was er in
sich einschloß.

Eine Nationalgalerie aber soll das gesamte
Kunstschaffen einer Nation in ihrem Inhalt
präsentieren. Der Widerspruch zwischen der
äußeren Form und dem inneren Zweck liegt
da auf der Hand, und man wird sich kaum
verwundern, die innere Raumgestaltung ebenso
zerhackt, verworren und werktäglich anzutreffen,
als die Außenerscheinung sich anspruchsvoll
und feierlich darstellte. Bei einem griechischen
Tempel ist der Innenraum, die Zelle, so be-
schränkt sie sein mag, in Form und Struktur
vollkommen übereinstimmend mit dem Äußern,
und so muß es sein. Bei einem Scheintempel,
wie dieser Nationalgalerie, aber ist das Äußere
eine Lüge. Und die noch dazu mehr lügt
als nötig wäre. Denn daß da drin auch nicht

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