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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Philippi, Fritz: Das Heidekreuz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0268

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DAS HEIDEKREUZ.

Und die Glocken läuteten darüber aus dem Tal.

Da, als ich auf dem Berge stand, wußte ich
die große Tat, die wert sei, am Ostermorgen zu
erzählen.

Denn ich sah das Kreuz vor mir, das mitten
auf unserer Heide steht, umwallt von schwarzem
Gestein. Es brannte im Licht, daß ich die Hand
zu den Augen hob, und verbrannte doch nicht.

Rauh gezimmert aus Eichenbalken ist das
Heidekreuz, vom Wetter geschwärzt. Kein
blutiger Heiland hängt an ihm. Raben ruhen
auf ihm aus vom Flug über die Heide. So
einsam steht es.

Am Fuß des Heidekreuzes will ich sitzen
und erzählen, was ich vom Heidekreuz weiß
und der großen Tat, davon es zu Land und
Wolken spricht, zu dem Wind und nachts zu
den Sternen.

Ich aber rede zu Menschen, die eine große
Tat nötig haben —

Es ist nicht Brauch, auf unserer Heide
Kreuze zu errichten; auch kniet man nicht davor
vor den Leuten. Es ist sonst kein Kreuz auf
der Heide, als nur das Heidekreuz. Viele stehen
auf dem Kirchhof, wo die Toten beisammen-
schlafen, daß sie nicht allein seien.

So ist auch das Heidekreuz ein Todeszeichen.
Die Hände, die es aufrichteten, wollten es groß
und sichtbar machen als ein Mal vor dem Ge-
schlecht der Menschen, wetterfest und standhaft.

Über dem schwarzen Basaltgestein am Fuß
des Kreuzes liegen morsche Baumreste von
Fichten, über die Stürme und Zeit Herr ge-
worden sind nach dem Faustrecht, das in den
Lüften gilt.

Wenn ich den Kopf nach Mittag wende, wo
die Heide sich langsam abwärts neigt nach dem
Aubach zu, schauen mich die düsteren Reste
einer Menschenwohnung an. Es ist kein Ob-
dach. Der Wind hat das Dach abgedeckt, der
Regen schlägt durch die Gefache, und weil auch
die Sonne Zutritt hat, wuchert eine Wildnis in
den Mauern auf, die niemand stört.

Das ist die Armenruh-Mühle, die vor fünfzig
Jahren Armenhaus war. Sie ist auch das Denk-
mal einer Tat, daß damals die Gemeinde ihre
Armen an das Ende der Gemarkung wies, weitab
von ihren Dächern, nachdem die Armenruh-
Mühle dem Dorf zugefallen war als schlimmes
Erbe eines verfehlten Lebens.

Das Heidekreuz soll wieder gut machen vor
dem Himmel, was das Armenhaus verschuldet
hat auf Erden. Denn zur Sühne ist das Heide-
kreuz errichtet von Menschen, die erschrocken
waren.

Die Ostersonne strahlt so froh, daß schon
ein Käferlein wach wurde und sich mir auf die
Hand setzt. So warm ist es schon. Es ist ein
Herrgotts-T ierchen.*

* Auch Marienkäfer, Sommerkälbchen genannt.

Anna Barbara Birkenried steht ihr Name im
Kirchenbuch. Altpärrners Annebärb ist sie im
Dorf geheißen. Sie ist ein Mädchen und hat
die große Tat getan. Ihr Staub ist schon lange
zum Staub gekommen, an fünf Jahrzehnte schon.
Sie sollte aber nicht vergessen werden. Das
wollten die Altväter, die noch härter waren als
dies Geschlecht.

Darum zuerst steht das Heidekreuz.

Als es dem alten Birkenried so dunkel vor
den Augen wurde, daß er den Text nicht mehr
sah auf der Kanzel und in der Scheuer bei der
Fruchtlieferung betrogen wurde, hielt er sich
einen Vikar, der sich dann das Nervenfieber
aus dem Dorf holte und starb.

Danach, sagen sie, ist die Annebärb Jahr
und Tag umhergegangen vor den Menschen-
augen wie ein steinern Bild, das keine Be-
wegung hat und starr dreinsieht zum Fürchten,
wenn die Leute es anreden.

Dann aber ist sie die Guttäterin aller Not
gewesen, und ihr Gesicht bekam darüber wieder
Blut und Leben.

Ich kann sie mir denken, als sähe ich sie
in diesen Tagen durch das Dorf schreiten. Sie
ist eine hohe Gestalt in dunklem Kleid. Herb
und schlicht, das ist der Eindruck der Gestalt.
Niemand scherzt und tändelt mit ihr. Sie geht
rasch, denn sie weiß Nötiges und hat nicht Zeit.
Wenn aber eine Not zu ihr aufschaut vom
Schmerzenslager, dann ist Trost da, und stille
Sterne leuchten.

So sehe ich sie und habe ein Verlangen, sie
möchte jetzt aus denSchutztannen hervorkommen
über die Heide, daß ich ihr begegnete und sähe,
wie ihre Augen klar sind wie Tau vom Himmel.

Ich will zu ihr sagen: ich weiß, daß du durch
ein tiefes Leid zum Mitleiden gekommen bist.

Auch zu der großen Tat, darum das Heide-
kreuz steht, das nach dem verfallenen Armen-
haus schaut.

In dem Armenhaus wohnte damals ein be-
sonderes Elend, so groß und schwer, daß der
Hund des Hirten winselte und der Hirt sein
Vieh dort nicht mehr zum Wasser trieb. Wollte
auch sonst niemand hingehen, nachdem der
Schultheiß heimkam und dann am Herd ins
Feuer stierte, auch vorerst nichts redete, obwohl
ihn sein Weib an der Schulter griff.

Sie sagen im Dorf: die Frau im Armenhaus
habe das „brüllende Fieber“ gehabt. Weiß aber
keiner zu sagen, was das sei. Etliche erzählen
aus ihrer Väter Mund: niemand habe mit dem
Teufel zu tun haben wollen. Darum sei es
gut gewesen, daß das Armenhaus weitab lag
vom Weg.

So ist Anna Barbara damals diesen Weg
allein gewandert, der aber kein Weg ist, sondern
Heide, die jetzt am Ostermorgen lächelt im
Sonnenschein und darüber die Glocken jetzt an-
fangen zu läuten aus allen vier Winden.

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