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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Kisa, Anton Carel: Das Nackte in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0273

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AS NACKTE IN DER KUNST.

Von Dr. ANTON KISA.

Von Zeit zu Zeit wird das Publikum gegen
überstrenge Tugendwächter mobil gemacht,
welche in irgend einer künstlerischen Dar-
stellung eine Verletzung allgemein sittlicher
Anschauungen erblicken. Zumeist sind diese
Tugendwächter in kirchlichen oder stark kirch-
lich gesinnten Kreisen zu suchen, was ganz
natürlich ist, weil die Religion auch heute noch
als die hervorragendste Vertreterin der öffent-
lichen Moral erscheint. Die Urteile dieser
Kreise können mit künstlerischen nicht immer
übereinstimmen, weil Kunst und Moral nichts
miteinander zu tun haben. Sie werden noch
verworrener dadurch, daß die Anschauungen
über Moral ungefähr ebenso variabel sind, wie
die über Schönheit.

Der kirchliche Eiferer findet die Nacktheit
sittlich unter allen Umständen anstößig, die
wenigen Fälle ausgenommen, wo sie als solche
nicht mehr empfunden wird, z. B. beim Kruzi-
fixe. Die Gewöhnung hat hier, wie in ab-
geschwächtem Grade bei der Darstellung der
Heiligen Sebastian und Maria von Magdala, der
Nacktheit den sinnlichen Reiz — für normale
Menschen — geraubt. In demselben Falle be-
fanden sich die Griechen und Römer der Nackt-
heit gegenüber, in unserer Zeit einzelne un-
kultivierte Völkerstämme, ein Teil der euro-
päischen Südländer und — die Künstler, die
von Jugend auf, namentlich von den kritischen
Jahren an, gewohnt sind nach dem nackten
Modelle zu arbeiten. Doch gab und gibt es
auch hier Ausnahmen; Overbeck z. B. ver-
wendete, um die sittliche Reinheit seiner Kunst-
anschauung zu wahren, auch zu seinen weib-
lichen Gestalten nur junge Männer als Modelle.
So kommt es, daß in Fällen, bei welchen der
Laie zuerst das Nackte sieht, der Künstler oder
der intensiv in der Kunst Lebende nur das
Kunstwerk sieht und jenen einfach nicht ver-
steht.

So grundfalsch es daher ist, dem Künstler,
welcher das Nackte unbefangen darstellt, eine
bewußte Verletzung sittlicher Anschauungen
vorzuwerfen, so grundfalsch ist es auch, leugnen
zu wollen, daß das Nackte den sittlichen An-
schauungen unserer Zeit nicht entspricht. Es
handelt sich bei diesen um etwas Historisch-
gewordenes. Der nackte Körper erschien als
Werkzeug der Erbsünde selbst sündhaft und
wurde von der Kunst des Mittelalters verhüllt.
Es entsand die Kunst der körperlosen Draperie,
von der Gotik zu raffinierter Eleganz ent-
wickelt. Wo die Nacktheit künstlerisch ver-
wendet wurde, wie bei den Darstellungen von
Frau Venus, der holden Teufelinne, der Sa-
tyren und Sirenen, ist sie Verkörperung der

Sünde. Die Renaissance als Sieg der Natur
über die transzendentale Gotik entschleiert den
Körper und freut sich der Nacktheit als Offen-
barung der reinen Schönheit. Der nackte
Körper wurde nach antikem Vorbilde der vor-
nehmste Gegenstand der Plastik und zugleich
aller Kunst, die sich auf Schönheit der Linien
und Formen aufbaute, d. h. also auch der
florentinisch-römischen Malerei, die in Michel-
angelo gipfelte. Die Kunst der Farbe jedoch,
die in Venedig und Flandern begann, hatte für
das Nackte nicht mehr diese unbedingte Wert-
schätzung, sondern benutzte es als Kontrast-
farbe in Verbindung mit prunkenden Stoffen,
glitzerndem Marmor und leuchtendem Golde
zu koloristischen Zwecken. Wir dürfen uns
auch nicht verhehlen, daß Tizian seine „Poesien“
nicht aus rein künstlerischem Interesse an
schöner Nacktheit schuf. Als er die Maitressen
der Este, Farnese und der Habsburger in
mythologischem Gewande auf die Leinwand
zauberte, gedachte er außer ästhetischen auch
noch andere, rein menschliche Gefühle im Busen
seiner erlauchten Gönner hervorzurufen.

Je mehr die koloristische Kraft wuchs, desto
mehr verlor die Darstellung des Nackten an
künstlerischer Bedeutung, an Interesse für die
Maler. Bei dem größten Koloristen, Velasquez,
spielt es gar keine Rolle, bei Rembrandt ist
es nichts als gelegentliches Studienobjekt, mit-
unter nach Fromentins Ansicht Abschreckungs-
mittel. Das grünlich-goldige Gefunkel eines
gestickten Lappens reizt ihn mehr als ein ent-
blößter Frauenbusen. Im Rokoko, wo das
Nackte, allerdings in pikanter Kombination mit
dem Gewande, also besser gesagt, das Ent-
kleidete, wieder die Maler stark beschäftigt, ist
seine sinnliche Bedeutung unverkennbar, im
Empire jedoch nur eine Wiederbelebung des
antiken Ideales. Die Ansichten der Gegenwart
über den künstlerischen Wert des Nackten
gehen im wesentlichen auf die Ara Napoleons III.
zurück, in welcher Carpeaux, Cabanel, Gerome,
Henner gleichzeitig mit dem Kultus der Demi-
monde in der Literatur das Feld beherrschten.
Damals, in jener Zeit leichten Lebensgenusses
und arger Deroute der moralischen Anschau-
ungen ward das Wort geprägt, daß die Dar-
stellung des Nackten das Ideal der Kunst sei.
Jener glänzenden, leichtfertigen, offiziellen Kunst,
welche die Sinne blendete, aber tatsächlich
unfruchtbar im Sande verlief, stand eine andere,
ernste gegenüber, die Leute von Barbizon und
ihre Nachfolger, die Millet, Manet, Courbet,
Monet, welche sich nur selten mit dem nackten
Körper beschäftigten. Während ihre Errungen-
schaften die moderne Kunst beherrschen, stehen
wir Jenen ganz fremd gegenüber. Die Phrasen,
mit welchen sich damals kokette Sinnlichkeit
drapierte, entlocken uns heute ein Lächeln.
Mit jener Sinnlichkeit war bezeichnenderweise

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