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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft7/8
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Röttger, Karl: Der Wahnsinn des Dichters
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Greiner, Leo: Zwei Tiergeschichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0217

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Weh mir, wo nehm ich, wenn
es Winter ist, die Blmnen und wo
den Sonnenschein
und Schatten der Crde?

Die Mauern stehen
sprachlos und kalt, im Winde
klirren die Fahnen . . .

So liebte er dennoch und immer noch die Welt,
und so fror er... So schauerte Weltgefühl in ihm ...

So auch schrieb er Weisheit und Güte:

Von einem Menschen sag ich, wenn der gut ist
und weise: was bedarf er? Jst irgendeins,
das einer Seele genüget? Jst sein Haben
eine gereifteste Reb' auf Erden,
gewachsen, dic ihn nühre? Der Sinn ist des
also. Ein Freund ist oft die Geliebte, viel
die Kunst. O Teurer, dir sag ich die Wahrheit:
Düdalus Geist und des Walds ist deiner . . .

Ein langes Leben ward ihm. 40 Jahre noch lebte
er so . . . Fast zu lang ... Äber, was heißt lang, was
kurz? Da er doch schon die Welt so früh abgelegt hatte,
wie ein Kleid, war er ja schon immer jenseits . . .
Es war nur wenig Not noch und viel Heiteres bei ihm.
Auch Friede und ein süßer Tod.

Er hatte die Nachte und die Mondnachte vor allem
geliebt von Anfang an. So starb er auch in einer
Mondnacht — legte sich in das Weiße und Dunkle der
Nacht und traumte hinüber. Einsam, wie er lebte.

7.

Wenn nach Jahrtausenden sein Geist seiner Müdig-
keit genesen sein wird, und wir, ihm gleich, dann ihm
begegnen- f686jj

wei TiergeschichtM.

i.

Der Esel in der Fremde.

Es war cinmal ein Esel, der immerzu die größten
und schwersten Säcke tragen mußte, so daß er bald in die
trübseligsten Klagen über sein widriges Schicksal ausbrach.
Da vcrnahm er eines Tages von einem Lande, wo, sagte
man, noch nie ein Esel gesehen worden sei und man gar
nicht wußte, welch eine Art Tier das wäre. „Wie gut
könnte ich es dort haben," dachte er sogleich, „käme ich
in dieses Land, so lebte ich ohne Arbcit und gewönne
zudem noch eine bedeutende öffentliche Hochschätzung.
Hier ist es mir wahrlich armselig genug ergangen, ich
will nicht zögern und mich unverzüglich dahin aufmachen.
Werde ich dann dort der Leute gewahr, so lasse ich meine
Stimme erschallen, die wird ihnen dann so grimmig
vorkommen, sie werden sich kaum zu atmen getrauen
und froh sein, wenn ich sie in Frieden lasse. So kann ich
Aeit meines Lebens noch der ungestörtesten Freiheit ge-
nießen."

Er machte sich also auf, kam in das erwähnte Land und
am Ende auch in eine große Stadt, die es dort gab.
Sogleich machte er sich über die erste beste Wiese her, die
ihm am Wege lag. Als nun der Besitzer des Grases
herbeigelaufen kam, um den Eindringling aus seinem

*) Aus „Das alte kleine Novellenbuch" von Leo Greiner
(Verlag Erich Reiß, Berlin). Siehe Besprcchung am Schluß des
Heftes unter „Altdeutsche Novelkdn". Die Red.

Eigentume zu vertreiben, kehrte sich der Esel zu ihm hin
und begann aus Leibeskräften zu schreien, daß die Luft
davon erbebte. Da erschrak der Mann heftig und lobte
Gott, daß es ihm gelang, dem schrecklichen Tiere zu ent-
rinnen. Rasch stürzte er dahin, wo er das Glockenseil
fand, und begann soglesch mit wildem Schalle zum
Sturme zu läuten. Die Bürger liefen herbei und fragten
alle, was es gäbe? Da sagte er ihnen die Mär, daß ein
schreckliches Tier gekommen sei, das würde ihn sicher noch
ums Leben gebracht haben und hätte eine gewaltige
Stimme und wäre so zornmütig, daß es keineswegs habe
von ihm entfliehen wollen, wie man doch von einem
Tiere billig erwarten müßte. Nun stehe es auf seiner
Wiese und fresse ihm das Gras auf. Da entstand eine
gewaltige Bewegung unter den Bürgern: wer gut zu
Pferde war oder glaubte, rascher zu Fuß vorwärtszu-
kommen, setzte seinen Eifer darein, mit den andern in
großem Zuge vor das Tor hinauszuziehen. Als sie nun
des Esels ansichtig wurden, machten die zaghafteren so-
glcich halt. Die aber ihren Mannesmut beweisen wollten,
gingen ein klein wenig näher hin, auch die Berittenen
glaubten, es immerhin wagen zu können. Der Esel be-
fand sich gerade in übermütiger Stimmung, sowohl von
dem himmlischen Grase, das er gefressen, als weil er von
der langen Ruhe gekräftigt war. Da lief er ihnen, nach
übermütiger Eselsart, von Genuß und Erholung üppig
geworden, laut schreiend entgegen. Als sie ihn von fern
so daherkommen sahen und sein fröhliches Geschrei ver-
nahmen, wandten sie sich stürmisch zur Flucht, der Esel
immer hinter ihnen her. Wessen Pferd nicht rasch laufen
mochte, der bearbeitete es wütend mit beiden Sporen,
denn sie hätten schwören mögen, der Esel würde beide
fressen, Roß sowohl wie Mann. Wem es gelang, auf
einen Baum zu entrinnen oder zeitig die Stadt zu er-
reichen, der pries sich glücklich. Wo der Weg sich ver-
engte, gab es ein solches Gedränge, daß die Schwächeren
und die Kinder schier zu Tode getreten, gekeilt und ge-
stoßen wurden, so daß, wer dessen Gefahr lief, eiligst auf
irgendeinen erhöhten Stein entfloh. Die übrigen dräng-
ten in wilder Hast nach Hause: mancher, der auf eine
Mauer oder ein Dach entwischt war, begann von hoch
droben Gott zu preisen. Die Reichen und Angesehenen
kamen natürlich zuerst in die Stadt. Kaum drinnen,
schlossen sie rasch hinter sich das Burgtor zu und sperrten
die Armeren aus. Dann warteten sie ab, was nun ge-
schehen würde. Als das arme Volk sah, daß der Weg ihm
abgeschnitten war, da entstand außerhalb ein solches Ge-
schrei von den armen Leuten, daß es zum Gotterbarmen
war. Alles, jung und alt, war überzeugt, ihr letzter Tag
sei erschienen. Es war ein gar verzagtes Heer: sie liefen
bis an die Brustwehr und aller Augen schauten nun starr
nach dem Tiere hin. Sie glaubten, jetzt müsse das Fürch-
terliche geschehen. Aber siehe! das Tier tat keinem den
Tod an. Jm Gegenteil, so schrecklich es sich auch gebardet
hatte, nun wurde es, als es vor das Burgtor kam und die
Rosse nicht mehr sah, wieder recht still und gutmütig
und am Ende auch des ewigen Schreiens überdrüssig.
Als die in der Stadt wahrnahmen, daß der Esel zu den
Leuten ging und sie dennoch ungebissen ließ, da begannen
dieselben, die kurz vorher das Tor zugeschlossen hatten,
grimmig zu schwören und konnten auf keine Weise davon

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