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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 13.1922

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Siebentes und Achtes Heft
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Grey, Roch: Romanichels Palast
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https://doi.org/10.11588/diglit.47210#0147

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Romanichels Palast
Roch Grey
Ich will das Publikum mit einem trans-
portablen Haus bekannt machen, das sein
Erfinder, der Maler Frangois Angiboult,
„Romanichels Palast“ genannt hat.
Was bisher den Notwendigkeiten eines mehr
oder minder behaglichen Wohnens Genüge
tun wollte, schien arm und traurig in seiner
Häuslichkeit und schwer transportabel.
Bretterhaufen, Armutsfarbe — alles roch
nach dem Provisorium des Tages nach
einer Katastrophe: nur das Unglück nistete
sich gern dort ein, gab der Baracke ein
Firmenschild — eine burleske Kombination,
die misslungene Bestrebungen maskierte —,
etwa: „Desto schlimmer“ oder „Mir ge-
nügt es.“
Als Francois Angiboult die Ruinen von
Messina betrachtete, die mit heiteren Blumen
und toller Vegetation geschmückt waren,
hatte er den ersten Gedanken zu seinem
transportablen Haus. Noch ganz ergriffen
von der Durchfahrt durch die Enge in
einem Zuge, der eisenklirrend steil auf ein
Riff zustürzte, das einer flachen Muschel
glich, dachte er beim Durcheilen der un-
glückseligen Stadt: Das entsetzliche ver-
meiden ! Steinlawinen, die zerschmettern und
sich zu Bergen türmen; Ziegelstürze, tödliche
Geschosse — Staubwirbel winde: Kalk-
strahlen, die ersticken und blenden; auch für
die Überlebenden das Dach vermeiden —
Folge des Zusammenbruches.
Man müsste nicht nur fliehen, sondern,
wenn möglich, sein Haus wie ein Schnecken-
haus mit sich forttragen können.
Flugzeuggeschwader, irdischer Abenteuer
ledig, müde Häuser mit sich nehmen wie
Ofenschirme.
Einige Kilometer weiter könnte die Erde,
dort fest und hart bis zum Ende, die Flücht-
linge aufnehmen: im Augenblick gäbe es
wieder Strassen, Plätze und Kinos, Vergessen
säend. Eine solcherweise improvisierte
Stadt bildete neue Wünsche, neue Er-
füllungen und neue Lüste.
Verlässt man den Bahnhof von Messina, so
sieht man Berge, die so heiter sind, dass
sie Hügeln gleichen. Unter dem Druck der
Citronenbäume fliehen sie ins Weite, wo
der Himmel sich mit der Erde vereinigt.
Wie die Wogen eines unbezwinglichen

Meeres überfluten die Citronenbäume das
lange Tal, steigen bis zur letzten Gelände-
erhöhung, bis dorthin, wo sich zwischen
den Felsen und Steinen, die rot sind wie
die sonnenverbrannte Haut eines Mannes,
riesige Agaven und Cacteen ausbreiten:
Silhouetten vor dem Gluthimmel, unbe-
greifliches Feuerwerk.
Das traurige Bild der Zerstörung ver-
schwindet vor dem Glück, den fast töd-
lichen Duftrausch einatmen zu können, den
tausende von blühenden Citronenbäumen
ausströmen.
Unendlichkeit der Erde, Unerschöpflichkeit
des Neuen, Niemals — Geschehenen ....
Der mit allen Kulturfortschritten, Launen,
Phantasien und Enttäuschungen — (von
denen er aus Erziehung und Dandytum
nicht sprechen darf) — überlastete Mensch,
dieses Wesen voller Glut liebt in seinem
zwischen Sehnsucht und Entspannung
wechselnden Leben die Veränderung, das
beste Heilmittel.
Wie aber die ärgerlichen Unbequemlich-
keiten eines primitiven Lagers vermeiden,
eines Zeltes, das von Regengüssen trieft,
das in Pfützen den Boden bedeckt? Mit
einem Tatzengriff zerreisst der Löwe diese
hinfällige Zuflucht; mit einem Rüsselschlag
schüttelt der Elefant es wie einen lächer-
lichen Fetzen; die Schlange ringelt sich
durch Gräser ins Innere, Herden von Hy-
änen belagern es, arme und wilde Tiere.
Statt frei zu leben und zu reisen, wird der
angegriffene Mensch Verteidiger. In diesem
stets ungleichem Kampf muss er wachen
und wird müde.
Daran dachte Francois Angiboult, als er
sich über die Brüstung einer Gartenterrasse
in Taormina beugte: auf der einen Seite
sah er den Gipfel des Ätna, dessen Strah-
lenkrone lila Blitze umzuckten, auf der
anderen Seite blickte er in eine Schlucht,
auf deren Grund durch Blumen, die sich
nach Blüten sehnten, das Tyrrhenische Meer.
Als die Brise zum Winde wurde, schlugen
die Fächerblätter der grossen Palmen gegen
seine Fenster — als wenn ein Säbel über
Glas klirrt.
So nah Afrika, auf keiner Karte verzeich-
nete Inseln, die Wüste gleich einem wunder-
baren Garten, darin ein schnell entfaltetes
Haus jedes Glück verhiesse!
„Romanichels Palast“ ist für alle bestimmt,

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