Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 13.1922

DOI Heft:
Zwölftes Heft
DOI Artikel:
Liebmann, Kurt: Lebt!
DOI Artikel:
Moholy-Nagy, László: Dynamisch-konstruktives Kraftsystem
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Fröhliche Weihnachten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47210#0232

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kehr. Bei Heine und Werfel sind sie
schwingendes Sentiment.
Wir sehen die ewige Zickzacklinie des
Schwebens im Spiel der Kinder. Die Kerze
des Vogellieds. Einfach. Ohne menschliche
Einmischung. Wir sehen hinter Hüllen
das Unvergängliche, Allgespeiste. Wir sehen
das Weibliche, das Männliche, den Hass,
die Freude, den Schmerz.
Ihr nennt uns radikal. Es gibt keinen Ra-
dikalismus in der Kunst, die immer wurzel-
haft ist. Ihr baut Systeme der Literatur.
Ihr speichert Erd-Himmel-Flächen-Geist-
werte. Wir achten jene Werte für die Erde.
Aber wir wissen: Unter jenen Persönlich-
keitswerten rauscht die Unendlichkeit der
Schau. Wir kennen euch, kennen All, aber
ihr kennt uns nicht, kennt euch, begrenzt.
Wir schauen. Wir knieen. Wir sind in
den Wirbel gerissen. Wir empfangen ehr-
fürchtig furchtlos die Gabe des Unbedingten.
Wir sind Verwalter. Wir künden. Wir
sind Schöpfer. Die Kunst lebt.
Kurt Liebmann

Dynamisch konstruktives
Kraftsystem
Die vitale Konstruktivität ist die Erschei-
nungsform des Lebens und das Prinzip
aller menschlichen und kosmischen Ent-
faltungen.
In die Kunst umgesetzt bedeutet sie heute
die Aktivmachung des Raumes mittels dy-
namisch-konstruktiver Kraftsysteme, d. h.
die Ineinander-Konstruierung der in dem
physischen Raume sich real gegeneinander
spannenden Kräfte und ihre Hineinkon-
struierung in den gleichfalls als Kraft
(Spannung) wirkenden Raum.
Die Konstruktivität als Organisationsprinzip
der menschlichen Bestrebungen führte in
der Kunst der letzten Zeit von der Technik
aus zu einer solchen statischen Gestaltungs-
form, welche entweder zu einem tech-
nischen Naturalismus ausartete, oder zu
solchen Formvereinfachungen, die in der
Beschränkung auf die Horizontale, Vertikale
und Diagonale stecken geblieben sind. Der
beste Fall war eine offene: excentrische
(centrifugale) Konstruktion, die wohl auf
die Spannungsverhältnisse der Formen und

des Raumes hingewiesen hat, ohne aber
die Lösung zu finden.
Deshalb müssen wir an die Stelle des sta-
tischen Prinzips der klassischen
Kunst das Dynamische des uni-
versellen Lebens setzen. Praktisch: statt
der statischen Material- Konstruktion
(Material- und Form-Verhältnisse) muss die
dynamische Konstruktion (vitale Konstruk-
tivität, Kräfteverhältnisse) organi-
siert werden, wo das Material nur als
Kraftträger verwendet wird.
Die dynamische Einzel-Konstruktion weiter-
geführt ergibt das DYNAMISCH-KONSTRUK-
TIVE KRAFTSYSTEM, wobei der in der
Betrachtung bisheriger Kunstwerke rezeptive
Mensch in allen seinen Potenzen mehr als
je gesteigert, selbst zum aktiven Faktor der
sich entfaltenden Kräfte wird.
Mit den Problemen dieses Kraftsystems
hängt das Problem der im Raume frei
schwebenden Plastik und des Filmes als
projizierter Raumbewegung eng zusammen.
Die ersten Entwürfe zu dem dynamisch-
konstruktiven Kraftsystem können nur ex-
perimentelle und Demonstrationsapparate
sein zur Prüfung des Zusammenhangs
zwischen Materie, Kraft, Raum. Danach
folgt die Benutzung der experimentellen
Resultate zur Gestaltung freier (von ma-
schinen-technischer Bewegung freier) sich
bewegenden Kunstwerke.
Kemeny Moholy^Nagy

Fröhliche Weihnachten
Es wird seit Jahren bemängelt, dass der
Sturm seine Leser zu Weihnachten ohne
literarischen Ratgeber lässt. Wir sind be-
kanntlich einseitig, und es gibt soviel Gutes,
das nicht im Sturm erscheint. Auch unsere
Leser haben schliesslich ein Recht auf
Kultur, die sich nach Ansicht der halb-
gebildeten und der tiefgebildeten Mensch-
heit in der Literatur für Männer ausspricht
und für Frauen spiegelt. Auch unsere lieben
Kleinen haben ein Recht auf Teilbildung.
Und die reifere Jugend ist für Verleger ein
wahres Fressen. Die werten Eltern sind
mit Schiller und Felix Dahn eingedeckt,
die moderne Mutter hat ausserdem ihren
Frenssen und ihren Wedekind auf dem
Nachttisch und das gesamte deutsche Volk

186
 
Annotationen