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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 2/3
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Tuteff, Iwan: Die junge bulgarische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0026

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„Wezni“. Mileff war die bedeutendste
Persönlichkeit und der Sammelpunkt der
Avantgarde des Neuen. „Wezni“ stellte
bald sein Erscheinen ein und der erste
Versuch blieb ohne große reelle Ergebnisse.
Die neue Strömung als solche aber konnte
sich formieren, konnte ihren eigenen Stil,
ihre eigenen künstlerischen Gedanken und
Ideale schaffen, welche nicht ohne einen
gewissen Einfluß auf die junge bulgarische
Kunst geblieben sind.
Die zeitgenössische Kunst und Kultur der
Welt stand in den Nachkriegsjahren an
einem verhängnisvollen Kreuzwege, und auch
heute ist die Situation im Grunde noch die
gleiche. Es steht bevor: entweder Rück-
gang zur dekorativen Unterstreichung von
„äußeren" und „inneren“ Formen oder
Vorwärtsbewegung zur Konstruktivisierung
jeder schöpferischen Form. Den letzten
Weg schlug die junge bulgarische Kunst
ein. Die Basis, auf die sie sich stellte,
war: nicht die innere Fiktion „Mensch“, son-
dern der konstruktive Begriff „Menschheit“
ist das Wesen der wahrhaft aktuellen Kunst!
Jene materielle Notwendigkeit — ein
Produkt des Lebensinstinktes — ist ein
definitiver Faktor. Sie bestimmt den schöpfe-
rischen Weg des suchenden Menschen in
der Bewegung zur Abrundung seiner Welt-
anschauung und verleiht der menschlichen
Kulturtätigkeit im allgemeinen den Charakter
und den inneren Wert. Jedes Leben aber
ist Ausdruck elementarer Dynamik, und die
Kunst als Gestaltungsmittel des Lebens
kann nicht ohne Leitung Ausdruck dieser
Dynamik sein. Die konstruktive Funktion,
die die Kunst im Leben der menschlichen
Gesellschaft ausübt, erzwingt von selbst
schon eine Synthese. Heute kann die Kunst
nicht mehr einer ausschließlichen „Ueber"-
Aesthetik unterstellt werden, da sie Ausdruck

des kollektiven Willens zur Schaffung neuer
Formen ist, der sich in der Herstellung
nicht nur schöner, sondern auch „nützlicher"
Dinge zeigt. Die neue Kunst soll vor
allem ethisch und deswegen schon elementar,
einfach und klar sein. Jede Kunstschöpfung
soll eine biometrische Konzeption darstellen,
in welcher die Materie bis zum Minimum
ihrer typischen Kundtuung geführt ist. Die
„neue“ Kunst verwirft aber den ausschließ-
lichen Materialismus, der den Menschen
unterjocht und aus ihm eine seelenlose
Marionette in dem Theater der sinnlosen
Natur machen könnte. Sie ist aber auch
nicht kosmotheistisch. In ihren Fundamenten
soll vielmehr ein koordinierter Super-
naturalismus liegen, welcher zu dem klugen
Verständnis und der Beherrschung der
Materie verhilft. Die neue Kunst soll also
für die klare Permutierung einfacher Dinge
in ein organisiertes Ganzes sein, welches
in einer besinnten und in Aktivität konkreti-
sierten, zweckgemäßen Bewegung resultiert.
Das sind in Kürze die grundlegenden Be-
griffe der jüngsten Kunst Bulgariens, was
die Literatur und Malerei anbetrifft. — Es
ist nicht das Ziel der jungen bulgarischen
Künstler, eine Bewegung mit bestimmten
politischen Tendenzen zu schaffen. Für sie
ist es vor allem wichtig, den bulgarischen
Künstler aus dem tötenden Morast einer
apathischen Unaktivität und ideellen De-
moralisation zu befreien, in die ihn der
Symbolismus hineingetrieben hat, sich dem
Volke zu nähern, indem sie ihm wirkliche
künstlerische Werte geben in einer neuen
und aktuellen Form, die aber doch seinem
Verstehen und Empfinden nahe steht. —
Inwieweit das gelungen ist, überlassen wir
anderen festzustellen. Jedoch ist das für den
deutschen Leser nicht nur als Entwicklungs-
stufe in derGeschichte der bulgarischen Kunst
 
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