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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 2/3
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Fol, Nikolaj: Das bulgarische Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0049

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nommenen Realismus kultiviert man noch
heute in seinen langweiligsten Formen.
Zeitgemäße Fragen und soziale Ideen ver-
sucht man auf der Bühne nicht zu lösen.
Das Theater verliert den Kontakt mit der
Zeit. Außerdem, begrenzt auf Sofia, ist es
außerstande, seiner ursprünglichen Bestim-
mung zu dienen: allgemeine Bildung und
Kultur in die breiten Volksmassen zu
tragen.
Der ganzen Provinz bleibt nur übrig, ihr
Theaterbedürfnis durch wandernde und
städtische Truppen mit mittelmäßigen
Schauspielern und ärmlich eingerichteten
Bühnen zu befriedigen. Diese Truppen
führen ein anämisches Dasein, ohne Sub-
sidien, ohne schöpferische Ideen, ohne klar
bestimmte Aufgaben. Indessen ist das
Interesse des Publikums nicht kleiner ge-
worden, trotz der ungünstigen Umstände,
die der Entwicklung der szenischen Kunst
im Wege stehen. Und eben diese Liebe
der breiten Massen zur darstellerischen
Kunst und ihre respektvolle Beziehung zur
Bühne, geerbt von der Epoche vor der
Befreiung, werden dem bulgarischen Theater
helfen, aus der Krise herauszukommen.

Von neuem den Interessen und Idealen des
Volkes angenähert, wird das Theater ge-
nügend schöpferische Impulse in sich finden,
um die Bedeutung eines mächtigen sozial-
kulturellen Faktors zu gewinnen, d.h. Theater
zu werden in dem lebendigen Sinne des
Wortes. Die nahe Zukunft eröffnet dem
Theater Bulgariens interessante und
neue Entwicklungsmöglichkeiten. Die dazu
erforderlichen Voraussetzungen sind vor-
handen: der Uebergang fast aller bulgari-
scher Schriftsteller zum Bühnenschaffen,
begabte junge Schauspieler, bis jetzt unge-
nutzter eigentümlicher nationaler dekorativ-
architektonischer Stil, klare, scharf-akzentu-
ierte Sprache.
Die Einflüsse, die gegenwärtig das fran-
zösische, deutsche und russische Theater
auf das bulgarische ausüben, werden für
dieses nur eine Schule bleiben und ihm zu
seinem eigenen Gesicht verhelfen. Aber
welche Formen auch das bulgarische Theater
annehmen wird, sie werden eine Synthese
aus dem spezifisch bulgarischen Geist und
den zeitgemäßen Form- und Ausdrucks-
bestrebungen des deutschen und russischen
Theaters darstellen.
 
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