Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

DOI Heft:
Heft 4/5
DOI Artikel:
Ring, Thomas: Held gesucht: Ein Spiel des Publikums und der Kulissen mit dem Theater
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0058

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mensch, kenn n wir die nich . . .
oder nee . . . doch nich . . .
Die eskortierten Arbeiterführer singen im
abgehackten Marschtakt:
So nimm denn meine Hääää-nde
un führäh-mich
bis an mein seelig Ääää-nde . . .
sie brechen ab, halten an, stecken Hände
in die Taschen.
1. Arbeiterführer:
Schluß. Die nehmen die Angelegn-
heit noch ernst.
2. Arbeiterführer:
Ja, was ich sagen wollte — hast du
schon gemerkt, wie kitschig sone
Sache ist? Sterben? Also der Verein
unserer sehr geehrten Zellen, „Eiweiß“
heißt die Bande so verlockend, die
selbst nie was Richtiges zu fressen
gekriegt hat, kann eines Tages seinen
Schriftführer im Gehirnkasten, seinen
Kassierer im Magen, seinen Vor-
sitzenden im — na ja, Herzen, um
den harten Ausdruck zu gebrauchen —
nicht mehr entlasten, der Verein ver-
tagt sich auf ewige Zeiten, einzelne
Mitglieder treten in eine Wurm-,
Maden-, Käfer-, Fliegensektion . . .
1. Arbeiterführer:
Nicht maln passendes Lied, mit
Schmiß und Weihe gibts, so wie:
Leichnam, Leichnam über alles,
hoch am Galgen hängt der Zimt . . .
(Mel.: Deutschland, Deutschland)
Offizier greift ein:
Meine Herren, es ist Ihnen zwar zu-
gesagt, sich Ihren Tod so angenehm
wie möglich zu machen, sofern wir
ohne Kosten davon bleiben, Sie dürfen

aber keine Attribute unserer Staats-
form, unseres Nationalgefühls, unserer
Religion beleidigen.
2. Arbeiterführer:
Sonst noch was. Was nennen Sie
eigentlich angenehm? Soll man seine
eigenen Mörder hinter Tüllschleiern
und mit Rosen garniert empfangen?
tritt nahe an ihn heran:
Mensch, hast du keine eigene Stimme,
wenn du schon fremde Ohren hast?
Offizier:
Schweigen ist Soldatenpflicht. Darf
ich Ihnen über die letzte Stunde hin-
weghelfen?
Offizier bietet ihm eine Zigarette an.
2. Arbeiterführer:
Weder Sie, noch Ihr Reklamechef in
der Kirche, noch sonst wer soll m i r
helfen. Ihr alle zusammen aber helft
der Arbeiterklasse zum Bewußtsein
ihrer Stunde.
1. Arbeiterführer singt:
Wacht auf . . .
Offizier hält ihm den Mund zu und
schiebt beide hinter die Kulisse:
Ich weiß. Es lebe die Weltrevolution.
Bitte, ersparen Sie sich die Mühe und
nehmen Sie Platz an der Mauer.
Er kommandiert, Soldaten führen mecha-
nisch Befehl aus:
Entsichern.
Legt an!
Feuer'.
Im selben Moment hinter der Kulisse Ruf
der beiden Arbeiterführer „hoch . .
dann Fall, Röcheln.
Offizier:
Laden und sichern. Schade. Hätte
mich in Zivil ganz gern mit den Kerls

50
 
Annotationen