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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Thewalt, Karl Ferdinand: Flandrischer Schrank des XV. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0070

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Abhandlungen.

Flandrischer Schrank des XV. Jahrh.

Mit Lichtdruck (Tafel IV).

n den holländischen Maas-
niederungen ist neuerlich
eines jener seltenen Möbel
aus der Zeitwende aufge-
funden worden, wo die
burgundischen Niederlande wie auf den übri-
gen Kunstgebieten so auch in dem Profan-
mobilar die Führung des Geschmackes Frank-
reich streitig machten und flandrische Meister
dem ausklingenden Mittelalter eine neue künst-
lerische Offenbarung gaben.

Das hier in der Vorderansicht und seinen
beiden Schmalseiten wiedergegebene Kunst-
werk ist in seiner einfachen Strenge und Stil-
reinheit für die Beurtheilung des vornehmeren
Mobilars aus der Zeit jener ersten nieder-
ländischen Kunstblüthe ungleich belehrender,
auch für eine moderne Abwandlung nutzbarer,
als die meisten im Brüsseler Museum und in
dem Hotel Cluny in Paris als Möbeltypen
jener Zeit ausgegebenen Prunkschränke, welche
mit ganz vereinzelten Ausnahmen entweder
durch sinnlose Zusammensetzung verschiedener,
wenn auch gleichzeitiger Bruchtheile oder durch
brutale neuere Ergänzungen jedes kritische
Auge verletzen dessenungeachtet aber in ihrer
komponirten Ungeheuerlichkeit alle Museums-
leitungen zu überdauern scheinen.

In Eichenholz ausgeführt, ist unser Möbel ein
doppelgeschossiger Kastenschrank mit je einer
Mittelthür zwischen zwei schmalen Füllungen,
der aber durch den Rhythmus seiner Einthei-
lung und Gliederung sowie durch eine schmuck-
reiche Ausbildung der Seiten in durchbroche-
nem Maafswerk einen ganz besonderen Reiz
erhält. Die von einem wirkungsvollen mit
kräftigen Rundstäben durchsetzten Gesimse be-
krönte obere Etage, ein Drittel der Schrank-
höhe einnehmend, belebt als künstlerischer
Mittelpunkt die Flachnische des Thürchens
mit einer überaus anmuthigen Madonnenfigur.
Die fromme Lieblichkeit des von einer Krone
überragten und von lang herniederwallendem

Haargelock umrahmten Antlitzes der Himmels-
königin, die naive Freude des Kindes über
einen Apfel, den die rechte Hand der Mutter
ihm hinreicht, der Flufs der Gewandung in
den leicht stilisirten, seitlich bis über die als
Schemel dienende Mondsichel hinabgleitenden
Falten, dies Alles bis zu den symbolischen
Blumen im Grunde erinnert unwillkürlich an
die Madonnentypen Martin Schongauer's aus
jener Zeit seines flandrischen Aufenthalts, wo
er die ganze tiefe Innigkeit der van Eyck'schen
Schule in die einfachen Konturen des Grab-
stichels übersetzte. Plastisch ist hier mit weni-
gen Mitteln dieselbe Wirkung erzielt. An der
Schlofsseite des Thürchens zieht sich längs
dem durch Rosettenzwickel oben im Rechteck
aufgelösten Nischenbogen senkrecht ein Laub-
werkband, in der Mitte überschnitten von
einem ebenso schmucklos wie die beiden
Eisenbänder desselben gehaltenen Schlofs-
schilde mit Schlüsselfang und anhängendem
Ringe. Diese schlichten, offenbar auch einer
späteren Zeit angehörenden Eisentheile, weit
entfernt störend aufzufallen, tragen im Gegen-
theile in Verbindung mit den glatten Rahmen-
hölzern zu Seiten des Thürchens wesentlich
dazu bei, die ganze Wirkung auf die Nischen-
figur zu konzentriren, und werden hierbei
vollends durch die nur ornamental ausgestat-
teten Nachbarfüllungen, welche aus einem
durchbrochenen Maafswerk mit kurzen Stäben
sich noch oben in Fischblasen- und Herz-
musterungen auflösen, wirksam unterstützt.
Die Pfostenflächen dieser Etage zieren reich
entwickelte Fialen, die auf dem mächtig vor-
tretenden Gurtgesimse schräg aufsetzen. Bei
dem unteren Schrankgeschosse bot die schmale,
oblonge Form der Schrankthüre für eine
figurale Staffirung ungleich grössere Schwie-
rigkeiten; um so mehr bleibt zu bewundern,
mit welch' feinfühligem Geschmacke dieselben
gelöst wurden. Eine figurale Gruppenent-
wickelung war auf dem gegebenen Räume
nicht möglich; eine Einzelfigur wäre in dieser
Gröfse aus dem Rahmen der übrigen Glie-
derungsverhältnisse gradezu herausgefallen; es
 
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