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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Hase, Conrad Wilhelm: Der hölzerne Reliquenschrein des Klosters Loccum
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0213

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331

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

332

Im Jahre 1848 wurde auf Beschlufs der
Geistlichkeit bei einer von der Kgl. Regierung
vorgeschriebenen Restauration die alte Ordnung
in Mönchs- und Laienkirche aufgehoben, bei
welcher der Altar, bezw. Schrein, der für die
darnach in bedeutend grofsen Dimensionen

Chorstühlen: schlichtes, theilweise fast rohes Holzgefüge
mit ganz wenigem Ornament. Nicht minder selten sind
die bis in diese Zeit zurückreichenden Kassetten, deren
Verzierungen über dasjenige, was der Kerbschnitt zu
leisten vermag, nicht wesentlich hinausgehen, daher
auch zumeist den durch die Holztechnik gezogenen
Rahmen nicht überschreiten.

Als eine Art von Offenbarung erscheint deswegen
der vorliegende Schrein, der den interessanten Versuch
darstellt, innerhalb des romanischen Formenkreises
durch architektonischen und ornamentalen Zierrath
Gliederungen zu bewirken, wie sie an Reichthum und
Mannigfaltigkeit nur den metallischen Künsten geläufig
waren, welche mit den ihnen eigentümlichen Verzie-
rungsarten derGufs- und Treib-, der Gravir- und Filigran-,
der Edelstein- und Emailtechnik in der romanischen
Periode ihren Höhepunkt erreichten. Offenbar hat
diese Metalltecfinik, wie sie damals auch in Nord-
deutschland ebenso verbreitet wie entwickelt war, bei
dem vorliegenden Schrein, zu dem eine auch nur einiger-
mafsen adäquate Parallele mir wenigstens völlig un-
bekannt ist, Gevatter gestanden; aber so viele bezüg-
liche Anklänge er auch aufweist, manche, ja wohl die
meisten derselben sind in die Formensprache des
Holzes so glücklich übertragen, dafs es sich verlohnen
dürfte, dieses im Einzelnen zu prüfen.

Wie bei jedem gröfseren Metallschreine der Kern
in einem hölzernen Kasten besteht (der in der Regel
die Form des Sarkopfiages mit Satteldach hat), so
natürlich erst recht hier, und es kam für den Künstler
nur darauf an, den Mangel alles metallischen und
damit auch alles figürlichen Schmuckes durch einen
möglichst ausgedehnten Apparat hölzerner, also zu-
nächst architektonischer Gliederungen zu ersetzen.
Diesen gewann er zuvörderst durch eine Betonung der
Giebelentwickelung, die durchaus dem Holzcharakter
entspricht, sodann durch einen möglichst reichen Aus-
bau der Giebelbekrönungen, namentlich aber durch
ein System von Thürmchen, für welche dem vielleicht
selbst aus Frankreich herübergekommenen Cisterzienser-
künstler die Uebergangsbanten seiner Heimath noch
mehr Anhaltspunkte boten, als deren bereits in Deutsch-
land vorhanden waren. Die Art, wie die Gufstechnik
schon von der Wende des Jahrtausends an vornehmlich
in Norddeutschland solchen Zierrath behandelt hatte,
bildete einen Wegweiser für die Uebertragung in Holz.
Denn an den Flankirthürmchen der Giebel, den Vor-
läufern der Fialen, zeigt, mit Ausnahme der mehr dem
Metallverfahren entsprechenden durchbrochenen Par-
thien, Alles den Holzcharakter. Dieser kommt auch in
den das Ganze beherrschenden Arkadenstellungen, die
ihren metallischen Ursprung nicht verleugnen, einiger-
mafsen zur Geltung. An den Kämmen aber, welche die
Giebel verbrähmen, behauptet er wieder sein volles Recht,
indem an ihnen der Kerbschnitt ungehindert und in

auftretende Kirche zu niedrig erschien, in eine
der Seitenkapellen gebracht, die verletzten
Theile gut ergänzt, und das Aeufsere neu ver-
goldet, sowie Dach und Sterne u. s. w. neu ge-
malt wurden. Bei dieser Gelegenheit (oder
wohl etwas später) sind die Bretterwände der

einer die gebundenen Gufsformen überbietenden Weise
sich entfaltet. Seine gröfsten Triumphe aber feierte
diese uralte und weit verbreitete Kerbschnitttechnik
wie an einzelnen Rahmenstücken und in den Zwickeln
der Bogenstellungen so vor Allem an den Frontispizen,
die sie mit einem ganzen System erhöhter und ver-
tiefter Ornamente versah. Jene sollten besonders den
Schmuck farbiger Steine und Gläser, der seit der
fränkischen Zeit sehr beliebt war, nachbilden, wäh-
rend die im Tiefschnitt ausgehobenen Verzierungen, als
metallisches Dekorationsmittel längst verlassen, wieder
durchaus dem Holze gerecht wurden, dem die der
karolingischen Periode eigenthümliche vertiefte Metall-
behandlung sie entlehnt hatte. Den Fortschritt der Holz-
technik beweist der in hochgothischen Motiven gehaltene
Firstkamm, der in seiner Abwechselung von Krabbe
und Blume so geschlossen wie malerisch wirkt. — Die
Vergoldung, welche auch auf die mit eingegrabenen
geometrischen Musterungen verzierten Holztafeln direkt,
also ohne Kreidegrund übertragen ist, gibt dem Ganzen
ein feierliches Gepräge, ohne irgendwie den Holz-
charakter zu beeinträchtigen.

Der ganze Schrein erscheint daher, obwohl Sparsam-
keitsrücksichten ihm in alleweg den Nothstandsstempel
aufgeprägt haben, als ein selbstständiges, originelles
Erzeugnifs, welches sein Material nicht verleugnet und
nicht mehr, nichts Anderes erscheinen will, als es
wirklich ist.

Aber nicht allein diese Eigenschaft verleiht ihm
einen mustergültigen Werth. Auch sein ganzer Aufbau
und seine Disposition, seine Gliederung*- und Ver-
zierungsart lassen ihn als ein dankbares Vorbild er-
scheinen, so oft es sich um in Holz auszuführende
romanische Mobilien, namentlich Altäre handelt. Giebel
und Thürmchen, Nischen und Arkaturen werden sich
als die Elemente zu bewähren haben, aus denen der
Bildhauer seine Schränke, Schreine, Altaraufsätze zu
konstruiren hat, wenn an ihn das schwierige Ansinnen
gestellt wird, sie in romanischen Formen so einfach
wie möglich zu gestallen; dem Flächenornament aber,
vielgestaltig und dankbar wie es ist, wird es vorbe-
halten bleiben, überall wo es wünschenswerth erscheint,
den angemessenen Schmuck zu schaffen. Kerbschnitt-
und Laubsägetechnik, zwei heute so viel gepflegte und
dilettantenhaft malträtirte Verfahren mögen hierbei mit
zu Hülfe genommen werden als ebenso wohlfeile wie
handliche Auskunflsmittel. Aber je geringer die Mittel
sind, mit denen Effekte erreicht werden sollen, umsomehr
mufs der Künstler, namentlich der entwerfende Zeichner
seiner Aufgabe gewachsen sein, um so mehr das Material
und den Formenkreis beherrschen. Auf den Mangel
gerade dieser beiden Kenntnisse sind die meisten Fehler
zurückzuführen, welche die Versuche, die mittelalter-
lichen Stilerzeugnisse nachzubilden, heutzutage in so
vielfachen Miiskredit gebracht haben.] D. H.
 
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