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1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.
344
In die unterste Kapelle kommen Gruppen bibli-
scher Geschichten zu stehen, die Anspielungen
auf das Sakrament enthalten, .Hieroglyphen', in
die zweite das ,Reliquiar" (die Monstranz), in
die dritte die Advocation der Kirche, in die
vierte der Patron des Orts.
Die von der Renaissance eingeführte Form
der Custodie gab nicht nur Anlafs, die Kennt-
nifs der klassischen Ordnungen zu zeigen. Ein
Ganzes, von dem doch jeder Theil so durch-
gebildet war, dafs er als eigenes Kunstgebilde
hätte bestehen können, konnte nur nach der
Proportionslehre mit Erfolg konstruirt werden.
Die Schönheit der Custodie Arphes beruht auf
den einfachen Zahlenverhältnissen, die er aus-
gerechnet hatte. In der von Sevilla sieht man
eine Aufthürmung von vier Tempeln; indem
er die altüberlieferte Idee des pyramidalen
Thurmes mit den Verhältnissen der klassischen
Ordnungen zu vereinigen hat, ergiebt sich als
passendste Formel der stufenweisen Verjüngung
der Tempel */5; d. h. jeder Tempel hat die
Breite und Höhe von 8/5 des unteren.
Die phantastischen, kleinlichen und zum
Theil profanen Zierathen des plateresken Stils,
deren Verbreitung in Spanien er auf nieder-
ländische und französische Kupferstiche zurück-
führt, sind ausgeschieden, nach den Grundsätzen
des klassischen (oder konventionellen) Purismus
des Cinquecento, aber das Schicksal vieler Werke
dieser doktrinären Zeit, Kahlheit, ist doch glück-
lich vermieden. Bei herrschendem Ebenmaafs ist
in den vier Tempeln ein durchgeführter, ebenso
feiner wie findiger Wechsel beobachtet. Auch
das figürliche Ornament fehlt nicht ganz. Die
Säulenschäfte des ersten Tempels z. B. sind von
Weinreben umwunden, in denen sich Kinder
wiegen.
In der Custodie von Avila war das System
noch mit Anklängen an frühere Werke durch-
geführt. Die viersäuligen Eckkapellen im ersten
Geschofs mit ihren Obelisken erinnerten noch
an die gothischen Fialen. Dagegen sind die
einzelnen Tempel einfache Ringe von Säulen
oder Arkaden; der Haupttempel ist ein reines
zwölfsäuliges Monopteron, und dies war die
eigentliche Musterform, denn die Custodie kann
nicht offen und durchsichtig genug sein. In
Sevilla ist der Ring verdoppelt, ein Kern, von
Arkadengruppen, zum Theil nach Art des
venezianischen Fensters', durchbrochen, ist um-
geben von einer Säulenstellung, wie die Halle
eines Peristyls. — Diese Säulenhalle umschliefst
dann noch ein dritter Ring von Statuetten.
In dem ersten Tempel stand eine Figur des
Glaubens, mit Kelch und Labarum, die im
Jahre 1668 auf die Spitze des Ganzen gesetzt
wurde; der zweite war bestimmt für die Mon-
stranz, umgeben von den vier Evangelisten; im
dritten sah man das Lamm der Offenbarung auf
dem Throne, oder die triumphirende Kirche; im
letzten auf einem Regenbogen die hl. Dreifaltig-
keit. — Seine letzte Arbeit scheint jene Bronze-
statue des Kardinals Erzbischofs von Toledo,
D. Bernardo de Sandoval y Roxas gewesen zu
sein, die er, nach den vom Conde de Vifiaza
in seinen »Adiciones«. kürzlich mitgetheilten
Aktenstücken, auch selbt ganz in Wachs model-
lirt hatte. Sie steht in der Colegiata zu Lerma.
* *
Einer der merkwürdigsten Abschnitte des
Buches r>De Varia commensuracion«. ist der, wo
sich Arphe über die geschichtlichen Wandlungen
der Baukunst und ihres Stils (obra) ausspricht,
— die erste Kundgebung dieser Art aus der
Feder eines Spaniers. Sie ist das Leitmotiv
geworden für Alles was über diesen Punkt bis
tief in unser Jahrhundert dort gelehrt worden ist.
Er erzählt zuerst von den dortigen Bauten
der römischen Kaiserzeit, die er auf seinen
Reisen noch aufrecht gesehen, und fährt dann
fort: Die Barbaren kamen, zerstörten alles und
setzten ihre Weise an die Stelle. Unter Obra
barbara6) versteht er natürlich den gothischen
Stil, obwohl er dies Wort auch kennt; er
nennt ihn im Allgemeinen obra moder?ia,
bestimmter mafoncria, d. h. Steinmetzenarbeit,
oder cresferia, von cresta, Hahnenkamm; womit
man die bekrönenden, säumenden und einrah^
menden Zierformen, Nasen, Krabben u.a. meinte,
die aus geometrischen Motiven gebildet sind.
„In dieser barbarischen oder modernen Art
sind viele neuere Tempel ausgeführt, die, obwohl
in'Arbeit und Ordnung nicht kunstgerecht, doch
fest bestehen, sehr wirkungsvoll in ihrer Art und
mit feinen und gefälligen Ornamenten verziert
sind.7) Dieses Stils bedienten sich dann auch
6) Menendez y Pelayo a. a. O. macht daraus, er
habe die Cuslodien seines Grofsvalers obras barbaras
genannt!
7) Los'' qua'.es [Templos] se nos muestran hazta
hoy dia
Firmes, y de montea muy vistosos,
Con ornatos süliles, y graciosos.
1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.
344
In die unterste Kapelle kommen Gruppen bibli-
scher Geschichten zu stehen, die Anspielungen
auf das Sakrament enthalten, .Hieroglyphen', in
die zweite das ,Reliquiar" (die Monstranz), in
die dritte die Advocation der Kirche, in die
vierte der Patron des Orts.
Die von der Renaissance eingeführte Form
der Custodie gab nicht nur Anlafs, die Kennt-
nifs der klassischen Ordnungen zu zeigen. Ein
Ganzes, von dem doch jeder Theil so durch-
gebildet war, dafs er als eigenes Kunstgebilde
hätte bestehen können, konnte nur nach der
Proportionslehre mit Erfolg konstruirt werden.
Die Schönheit der Custodie Arphes beruht auf
den einfachen Zahlenverhältnissen, die er aus-
gerechnet hatte. In der von Sevilla sieht man
eine Aufthürmung von vier Tempeln; indem
er die altüberlieferte Idee des pyramidalen
Thurmes mit den Verhältnissen der klassischen
Ordnungen zu vereinigen hat, ergiebt sich als
passendste Formel der stufenweisen Verjüngung
der Tempel */5; d. h. jeder Tempel hat die
Breite und Höhe von 8/5 des unteren.
Die phantastischen, kleinlichen und zum
Theil profanen Zierathen des plateresken Stils,
deren Verbreitung in Spanien er auf nieder-
ländische und französische Kupferstiche zurück-
führt, sind ausgeschieden, nach den Grundsätzen
des klassischen (oder konventionellen) Purismus
des Cinquecento, aber das Schicksal vieler Werke
dieser doktrinären Zeit, Kahlheit, ist doch glück-
lich vermieden. Bei herrschendem Ebenmaafs ist
in den vier Tempeln ein durchgeführter, ebenso
feiner wie findiger Wechsel beobachtet. Auch
das figürliche Ornament fehlt nicht ganz. Die
Säulenschäfte des ersten Tempels z. B. sind von
Weinreben umwunden, in denen sich Kinder
wiegen.
In der Custodie von Avila war das System
noch mit Anklängen an frühere Werke durch-
geführt. Die viersäuligen Eckkapellen im ersten
Geschofs mit ihren Obelisken erinnerten noch
an die gothischen Fialen. Dagegen sind die
einzelnen Tempel einfache Ringe von Säulen
oder Arkaden; der Haupttempel ist ein reines
zwölfsäuliges Monopteron, und dies war die
eigentliche Musterform, denn die Custodie kann
nicht offen und durchsichtig genug sein. In
Sevilla ist der Ring verdoppelt, ein Kern, von
Arkadengruppen, zum Theil nach Art des
venezianischen Fensters', durchbrochen, ist um-
geben von einer Säulenstellung, wie die Halle
eines Peristyls. — Diese Säulenhalle umschliefst
dann noch ein dritter Ring von Statuetten.
In dem ersten Tempel stand eine Figur des
Glaubens, mit Kelch und Labarum, die im
Jahre 1668 auf die Spitze des Ganzen gesetzt
wurde; der zweite war bestimmt für die Mon-
stranz, umgeben von den vier Evangelisten; im
dritten sah man das Lamm der Offenbarung auf
dem Throne, oder die triumphirende Kirche; im
letzten auf einem Regenbogen die hl. Dreifaltig-
keit. — Seine letzte Arbeit scheint jene Bronze-
statue des Kardinals Erzbischofs von Toledo,
D. Bernardo de Sandoval y Roxas gewesen zu
sein, die er, nach den vom Conde de Vifiaza
in seinen »Adiciones«. kürzlich mitgetheilten
Aktenstücken, auch selbt ganz in Wachs model-
lirt hatte. Sie steht in der Colegiata zu Lerma.
* *
Einer der merkwürdigsten Abschnitte des
Buches r>De Varia commensuracion«. ist der, wo
sich Arphe über die geschichtlichen Wandlungen
der Baukunst und ihres Stils (obra) ausspricht,
— die erste Kundgebung dieser Art aus der
Feder eines Spaniers. Sie ist das Leitmotiv
geworden für Alles was über diesen Punkt bis
tief in unser Jahrhundert dort gelehrt worden ist.
Er erzählt zuerst von den dortigen Bauten
der römischen Kaiserzeit, die er auf seinen
Reisen noch aufrecht gesehen, und fährt dann
fort: Die Barbaren kamen, zerstörten alles und
setzten ihre Weise an die Stelle. Unter Obra
barbara6) versteht er natürlich den gothischen
Stil, obwohl er dies Wort auch kennt; er
nennt ihn im Allgemeinen obra moder?ia,
bestimmter mafoncria, d. h. Steinmetzenarbeit,
oder cresferia, von cresta, Hahnenkamm; womit
man die bekrönenden, säumenden und einrah^
menden Zierformen, Nasen, Krabben u.a. meinte,
die aus geometrischen Motiven gebildet sind.
„In dieser barbarischen oder modernen Art
sind viele neuere Tempel ausgeführt, die, obwohl
in'Arbeit und Ordnung nicht kunstgerecht, doch
fest bestehen, sehr wirkungsvoll in ihrer Art und
mit feinen und gefälligen Ornamenten verziert
sind.7) Dieses Stils bedienten sich dann auch
6) Menendez y Pelayo a. a. O. macht daraus, er
habe die Cuslodien seines Grofsvalers obras barbaras
genannt!
7) Los'' qua'.es [Templos] se nos muestran hazta
hoy dia
Firmes, y de montea muy vistosos,
Con ornatos süliles, y graciosos.