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1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
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Die Handschrift von Upsala ist das Glied
einer grofsen Familie, einer „Schule", auf die
sich die Forschung der letzten Jahre mit be-
sonderem Eifer verlegt hat. Es wird sich
empfehlen, I. die Erzeugnisse jener Schule
zu nennen, IL Die Handschrift von Upsala
eingehend zu beschreiben und in kunstge-
schichtlicher Hinsicht mit den verwandten
Codices zu vergleichen. III. Ihr Perikopen-
verzeichnifs zu untersuchen und zu erfor-
schen, was sich aus ihm über die Verbreitung
und den Sitz jener Schule schliefsen läfst.
I. Jene grofse deutsche Malerschule, welche
um die Wende des ersten Jahrtausends ihre
höchste Blüthe erreichte und sich durch ein
Jahrhundert verfolgen läfst, stand in innigster
Beziehung zum Kaiserhofe. Sie hat den Ottonen
und Heinrich IL, Konrad IL und Hein-
rich III. ihre Erzeugnisse gewidmet. Ihre her-
vorragendsten Leistungen zu Aachen, Köln,
Trier, Bamberg und München, waren ehedem
in Gold eingebunden, wurden als hervor-
ragende Schaustücke in Prozessionen getragen
und grofsentheils bei feierlichen Eidesleistungen
auf die Evangelien benutzt.
Ikonographisch stehen die Glieder
dieser Familie sich nahe, weil sie zur Illustra-
tion der Perikopen der wichtigsten Feste oder
Sonntage analoge Bilder in freier Verände-
rung wiederholen. Sklavische Kopie eines Ur-
typus kommt nie vor, doch erkennt ein
geübtes Auge leicht den Zusammenhang, das
Abhängigkeitsverhältnifs. Noch charakteristi-
scher ist Zeichnung und Färbung. Alles
ist fein, reinlich, glatt, hell, klar und fest. Eine
sichere Schulung, ein Zurückdrängen künstle-
rischer Laune ist unverkennbar. Alle Farben
neigen zu hellen Tönen, sie sind scharf neben-
einander gestellt, gehen nie ineinander über,
aber im Ganzen herrscht eine ruhige Har-
monie, ein hoch gebildeter Farbensinn. Die
Konturen sind fein, die Ornamente streng
und ernst.
1. Eines der ersten, in künstlerischer Hinsicht
vielleicht das beste Buch dieser Schule ist
die Handschrift des Kaisers Otto im
Münster zu Aachen,1) ein Evangelienbuch
') Herausgegeben von Stephan Beissel mit
33 Lichtdrucktafeln. Aachen. Barth (1885). Vgl.
Vüge „Eine deutsche Malerschule", »Westdeutsche
Zeitschrift«, Ergänzungsheft VII, Trier, Lintz (1891)
S. 44 f., 77 f., 90 f. Die Vermuthung, Liuthar, welcher
von 30 x 22 cm Gröfse, das aber durch Be-
schneiden gelitten hat. Es wurde von einem
Liuthar dem Kaiser Otto I. oder Otto IL über-
reicht (um 973 ?). Sowohl der Geschenkgeber
als der Empfänger sind auf zwei grofsen Wid-
mungstafeln porträtirt. Die Handschrift ent-
hält 12 Kanontafeln, 4 Evangelistenbilder,
4 Ziertitel und 21 ganzseitige Miniaturen mit
biblischen Szenen in reicher architektonischer
Umrahmung. Der Comes beginnt mit Weih-
nachten, hat 2 „Wochen" nach Pfingsten, (i nach
Peter und Paul, 5 nach Laurentius, 7 nach
Cyprian und 4 vor Weihnachten.
2. Sehr nahe steht dem Aachener Kodex
eine mit drei Bildern illustrirte Handschrift
der Bamberger Kirche in der kgl. Bibliothek
daselbst (A I 47 B. 2) Gröfse 19 x 25 cm.
X. Jahrh.). Die beiden ersten Miniaturen er-
läutern den Text des Canticum Canticorum.
In der dritten ist Daniel vor den Text seiner
Prophetie gestellt, wie die Evangelisten vor
ihren Büchern gemalt wurden.
3. Evangelienbuch der Kölner Dom-
bibliothek n. 218.8), ehedem Eigenthum der
Abtei Limburg a. d. H. in der Diözese Speyer,
der Stiftung Konrad IL Gröfse 20,6 x 28 cm.
Ende des X. Jahrh. Inhalt: 12 Kanontafeln,
4 Evangelistenbilder, 8 Miniaturen in den Text
vertheilt, 4 Ziertitel ohne Purpurgrund. Im
Comes sind 6Wochen nach Pfingsten angegeben,
6 nach Peter und Paul, 5 nach Laurentius,
dem Kaiser Otto die Handschrift überreicht, könne
Abt der Reichenau gewesen sein, ist unhaltbar, nach-
dem nachgewiesen ist, dafs die im »Anzeiger z. K.
d. V.« (1833), im »Necrolog. Germ.« I, 749 und
anderswo gegebene Notiz, ein Liuthar habe in der
Reichenau 934—949 regiert, als falsch erwiesen ist.
Liuthar war dort 926—934 Abt. N. »Archiv« XV
(1886) S. 643. Ein anderer Liuthar regierte zu Mal-
medy im Beginn des 10. Jahrh. Mon. Germ. XX,
566 sq
2) Leitschuh »Führer durch die kgl. Bibliothek
zu Bamberg« 2. Aufl. S. 93 f.; desselben »Aus den
Schätzen der Bamberger Bibliothek« , Bamberg,
Buchner; Vöge 99 f., 108 f.
3) Wattenbach »Ecclesiae metropolitanae Colo-
niensis Codices manuscripti», Berolini, Weidmann (1874)
p. 97. Vöge 145, 177 nimmt an, der Kodex sei zu
Limburg geschrieben worden und beruft sich auf eine
erst im XII. Jahrh. geschriebene Notiz. Sie redet
jedoch nur vom Einbände, den ein Priester und
Mönch des Klosters Limburg mit Gold und Edel-
steinen zierte und in den er im zweiten Viertel des
XI. Jahrh. Reliquien barg.
1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
68
Die Handschrift von Upsala ist das Glied
einer grofsen Familie, einer „Schule", auf die
sich die Forschung der letzten Jahre mit be-
sonderem Eifer verlegt hat. Es wird sich
empfehlen, I. die Erzeugnisse jener Schule
zu nennen, IL Die Handschrift von Upsala
eingehend zu beschreiben und in kunstge-
schichtlicher Hinsicht mit den verwandten
Codices zu vergleichen. III. Ihr Perikopen-
verzeichnifs zu untersuchen und zu erfor-
schen, was sich aus ihm über die Verbreitung
und den Sitz jener Schule schliefsen läfst.
I. Jene grofse deutsche Malerschule, welche
um die Wende des ersten Jahrtausends ihre
höchste Blüthe erreichte und sich durch ein
Jahrhundert verfolgen läfst, stand in innigster
Beziehung zum Kaiserhofe. Sie hat den Ottonen
und Heinrich IL, Konrad IL und Hein-
rich III. ihre Erzeugnisse gewidmet. Ihre her-
vorragendsten Leistungen zu Aachen, Köln,
Trier, Bamberg und München, waren ehedem
in Gold eingebunden, wurden als hervor-
ragende Schaustücke in Prozessionen getragen
und grofsentheils bei feierlichen Eidesleistungen
auf die Evangelien benutzt.
Ikonographisch stehen die Glieder
dieser Familie sich nahe, weil sie zur Illustra-
tion der Perikopen der wichtigsten Feste oder
Sonntage analoge Bilder in freier Verände-
rung wiederholen. Sklavische Kopie eines Ur-
typus kommt nie vor, doch erkennt ein
geübtes Auge leicht den Zusammenhang, das
Abhängigkeitsverhältnifs. Noch charakteristi-
scher ist Zeichnung und Färbung. Alles
ist fein, reinlich, glatt, hell, klar und fest. Eine
sichere Schulung, ein Zurückdrängen künstle-
rischer Laune ist unverkennbar. Alle Farben
neigen zu hellen Tönen, sie sind scharf neben-
einander gestellt, gehen nie ineinander über,
aber im Ganzen herrscht eine ruhige Har-
monie, ein hoch gebildeter Farbensinn. Die
Konturen sind fein, die Ornamente streng
und ernst.
1. Eines der ersten, in künstlerischer Hinsicht
vielleicht das beste Buch dieser Schule ist
die Handschrift des Kaisers Otto im
Münster zu Aachen,1) ein Evangelienbuch
') Herausgegeben von Stephan Beissel mit
33 Lichtdrucktafeln. Aachen. Barth (1885). Vgl.
Vüge „Eine deutsche Malerschule", »Westdeutsche
Zeitschrift«, Ergänzungsheft VII, Trier, Lintz (1891)
S. 44 f., 77 f., 90 f. Die Vermuthung, Liuthar, welcher
von 30 x 22 cm Gröfse, das aber durch Be-
schneiden gelitten hat. Es wurde von einem
Liuthar dem Kaiser Otto I. oder Otto IL über-
reicht (um 973 ?). Sowohl der Geschenkgeber
als der Empfänger sind auf zwei grofsen Wid-
mungstafeln porträtirt. Die Handschrift ent-
hält 12 Kanontafeln, 4 Evangelistenbilder,
4 Ziertitel und 21 ganzseitige Miniaturen mit
biblischen Szenen in reicher architektonischer
Umrahmung. Der Comes beginnt mit Weih-
nachten, hat 2 „Wochen" nach Pfingsten, (i nach
Peter und Paul, 5 nach Laurentius, 7 nach
Cyprian und 4 vor Weihnachten.
2. Sehr nahe steht dem Aachener Kodex
eine mit drei Bildern illustrirte Handschrift
der Bamberger Kirche in der kgl. Bibliothek
daselbst (A I 47 B. 2) Gröfse 19 x 25 cm.
X. Jahrh.). Die beiden ersten Miniaturen er-
läutern den Text des Canticum Canticorum.
In der dritten ist Daniel vor den Text seiner
Prophetie gestellt, wie die Evangelisten vor
ihren Büchern gemalt wurden.
3. Evangelienbuch der Kölner Dom-
bibliothek n. 218.8), ehedem Eigenthum der
Abtei Limburg a. d. H. in der Diözese Speyer,
der Stiftung Konrad IL Gröfse 20,6 x 28 cm.
Ende des X. Jahrh. Inhalt: 12 Kanontafeln,
4 Evangelistenbilder, 8 Miniaturen in den Text
vertheilt, 4 Ziertitel ohne Purpurgrund. Im
Comes sind 6Wochen nach Pfingsten angegeben,
6 nach Peter und Paul, 5 nach Laurentius,
dem Kaiser Otto die Handschrift überreicht, könne
Abt der Reichenau gewesen sein, ist unhaltbar, nach-
dem nachgewiesen ist, dafs die im »Anzeiger z. K.
d. V.« (1833), im »Necrolog. Germ.« I, 749 und
anderswo gegebene Notiz, ein Liuthar habe in der
Reichenau 934—949 regiert, als falsch erwiesen ist.
Liuthar war dort 926—934 Abt. N. »Archiv« XV
(1886) S. 643. Ein anderer Liuthar regierte zu Mal-
medy im Beginn des 10. Jahrh. Mon. Germ. XX,
566 sq
2) Leitschuh »Führer durch die kgl. Bibliothek
zu Bamberg« 2. Aufl. S. 93 f.; desselben »Aus den
Schätzen der Bamberger Bibliothek« , Bamberg,
Buchner; Vöge 99 f., 108 f.
3) Wattenbach »Ecclesiae metropolitanae Colo-
niensis Codices manuscripti», Berolini, Weidmann (1874)
p. 97. Vöge 145, 177 nimmt an, der Kodex sei zu
Limburg geschrieben worden und beruft sich auf eine
erst im XII. Jahrh. geschriebene Notiz. Sie redet
jedoch nur vom Einbände, den ein Priester und
Mönch des Klosters Limburg mit Gold und Edel-
steinen zierte und in den er im zweiten Viertel des
XI. Jahrh. Reliquien barg.