Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 29.1916

DOI Artikel:
Steinmetz, A.: Wahrheit und Schönheit in der Baukunst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4343#0151

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
130

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 9

spielt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß alle Zeiten gesunden Kunstschaffens
Erzeugnisse dieser Art hervorgebracht haben, die von dem Vollkommenheits-
zustand nicht weit entfernt sind.

Auch bei größeren Gegenständen ist, solange der Gebrauchszweck einfach
bleibt, die Bewältigung der geschilderten Schwierigkeiten noch verhältnismäßig
leicht, wenn auch die Erfordernisse schon bestimmter und damit anspruchs-
voller auftreten, namentlich bei solchen, die von vornherein einen bleibenden
Standort erhalten sollen, also in festere Beziehungen zu ihrer Umgebung treten.
Öfen z. B., in Mauerung oder Gußeisentechnik ausgeführt, dürften gleichfalls
in unzähligen Beispielen auf uns gekommen sein, die nach allen Richtungen hm
den oben gestellten drei Anforderungen denkbar entsprechen.

Natürlich kommen von allen diesen Dingen nur solche für die gegenwärtigen
Betrachtungen in Frage, welche in der bewußten Absicht hergestellt sind, neben
der reinen Nützlichkeit auch die Schönheit zur Geltung zu bringen. Das Be-
dürfnis hierzu tritt zwar schon in den allerurtümlichsten Zeiten auf und be-
gegnet uns ja auch durchweg bei den heute noch in Anfangszuständen lebenden
Völkerstämmen. Allein von einem aus solch unbewußt waltendem Schönheits-
sinn entsprossenen naiven Schmücken bis zu einem in jeder Beziehung vorbe-
dachten, über seine Ziele vollkommen klaren künstlerischen Gestalten hegt eine
lange, stufenweise vor sich gehende Entwicklung, in deren Verlauf sich die Schön-
heitsbegnffe immer schärfer und begrenzter herausbilden, bis sie zuletzt einen
Zustand starrer Einseitigkeit erreichen, in welchem sich der in Frage stehende
Widerstreit bis zur Unversöhnlichkeit auswächst.

Ein schlagendes Beispiel für eine solche Entwicklung bietet der griechische
Tempel. Ursprünglich, wie jedes bauliche Gebilde auf die Wohnhütte zurück-
gehend, war er gleich dieser selbst ein Holzbau gewesen, dessen Gebrauchs-
zweck einen einzigen viereckigen geschlossenen Raum mit einer rings herum-
laufenden offenen Vorhalle erforderlich machte. Wahrscheinlich waren die
Wände des Kernraumes in der Blockbautechnik, d. h. in wagerechter Schich-
tung abgerindeter, aber sonst in ihrer natürlichen Rundung verwendeter Baum-
stämme ausgeführt, die auch als senkrechte Pfosten zur Unterstützung des Daches
über der Vorhalle dienen mußten. Aus diesem Baugedanken bildete sich ein
Schema heraus, das als solches auch beibehalten wurde, nachdem man zur Ver-
wendung des Steins als Baustoff übergegangen war. Namentlich wurden die
genannten Säulenpfosten der Vorhalle mit ihrer wagerechten Uberdeckung, dem
Dachgebälk, vollständig übernommen und in ihren Verhältnissen von Durch-
messer zur Höhe, ihren Abständen, den Gesimsbildungen usw. zahlenmäßig
festgelegt. Da die über den Säulen liegenden wagerechten Architravstücke inner-
halb gewisser Abmessungen bleiben mußten, waren die Säulenabstände ent-
sprechend begrenzt, so daß die Säulenschäfte bei den immer zunehmenden
Größenverhältnissen der Tempelbauten an Stärke und Anzahl das durch die
von ihnen aufzunehmende Last gegebene Erfordernis unendlich überschritten.
Erst nachdem dieses Tempelschema (Abb. 1) längst als höchster Ausdruck bau-
künstlenscher Schönheit durchgedrungen war, lernte die griechische Baukunst
die Wölbetechnik kennen. Sie vermochte deshalb nicht mehr diese erst wirklich
den Namen einer Steinbaukunst verdienende Neuerung in ihren Tempelbauten
formal zu verwerten. Es mußte vielmehr bei dem auch in späterer Zeit immer
 
Annotationen