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Zeitschrift für christliche Kunst — 29.1916

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Creutz, Max: Die Ausgrabungen von Dixmuiden, [2]: Nachtrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.4343#0167

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Nr. 10/11 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 145

DIE
AUSGRABUNGEN VON DIXMUIDEN

Nachtrag. (Mit 9 Abbildungen.)

~\ ls in dieser Zeitschrift (Band XXIX S. 65 ff.) über die Ausgrabungen
/ V von Dixmuiden berichtet wurde, standen von der St.-Nikolaus-Kirche
_/ V. noch die Umfassungsmauern, die Bogenwand des Chorumganges, eine
Wand des rechten Querschiffes und im wesentlichen die Apsis der Kirche. Da-
mals war der Eindruck des alten Bauwerkes noch erhalten. Wenn auch der
Himmel überall hineinsah, so wirkten doch Pfeiler und Bögen, Fenster und
Maßwerk noch in alter Schönheit. Inzwischen hat feindliches Feuer ein Trümmer-
feld geschaffen, das nicht mehr zum alten Leben erwachen wird.

Die alte Kirche zeigte im engen Rahmen der kleinen weißen flämischen
Häuser, die in schmalen Gassen im Schutze des Bauwerkes lagen, das mittel-
alterliche Bild der Zusammengehörigkeit von Kirche und Stadt, aus deren Gassen
und Straßen die Wurzeln der Pfeiler, Bögen und Fialen gleichsam herauswuchsen.
Vom Markte aus ragte nur der massige Blockturm empor mit starken Strebe-
stützen an den Ecken und kleinerem Begleitturm bis zur Höhe der Schallöcher.
Ähnliche Türme kommen in Flandern mehrfach vor, so in dem Dixmuiden
benachbarten Eessen, dessen Kirche, wenn auch zerstört, doch in Turm und
Umfassungsmauern noch erhalten ist. Diese Turmbauten scheinen in ihrer
Eigenart dem flandrischen Lande und seinen Bewohnern zu entsprechen. In der
Weite des Landes hat die Widerstandsfähigkeit den starken Stürmen vom nahen
Meere gegenüber ihr Aussehen bestimmt (Abb. 1—4).

Einer der gewaltigsten Türme dieser Art war der Templerturm in Nieuport,
der ursprünglich zu einer Kirche mit dem Weihedatum 1283 gehörte. Er wurde
Zeuge vieler Kriegsnot, die über das Land Flandern hereinbrach, bis er 1916
selber ihr zum Opfer fiel. Nach einer Belagerung von 1383 geriet die Kirche
in Brand. Der Turm erlebte noch verschiedene andere Belagerungen, 1489
durch die Franzosen unter Vendome und Crevecoeur. 1745, 1792 und 1794 wurde
Nieuport von den Franzosen genommen. Nach einer alten Sage sollte Flandern
nicht untergehen, so lange der Turm steht. Die Türme sind die Träger der
Geschichte des Landes. Sie verknüpfen Vergangenheit und Zukunft. Über die
leicht vergänglichen Bauwerke menschlicher Wohnungen hinaus bilden sie das
bleibende Element. Sie geben der Landschaft ihr eigentliches Gepräge. Wie
die dunklen Türme ursprünglich aus den kleinen weißen flämischen
Häusern herauswuchsen, so liegen sie jetzt zwischen den hellen weißen Bürger-
häusern der Städte, ein Eindruck, der an das Stadtbild des alten Köln erinnert.
Dieser malerische Reiz des Helldunkels ist nicht zufällig. Er kehrt in der künstle-
rischen Anschauung des niederrheinischen Gebietes und vor allem Flanderns
in so mannigfacher Form wieder, daß man auch auf anderen Gebieten auf die
bekannte Veranlagung des Volkes in malerischer Hinsicht schließen kann. Es
gibt kein Land, das derart Licht und Sonne in die Wirkung seiner Kunst mit
einbezogen hat, wie Flandern und Holland. Die helle, klare Luft in der Nähe des
Meeres mag von jeher die Freude an Licht und Helligkeit geweckt haben. Die
tief eingewurzelte Neigung, weißes Spitzenwerk herzustellen, kommt auch in
 
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