Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Pa-isches Gewerbeblatt.
Beilage zum Mannheimer Morgenblatt No. 169.

No. 29. Mannheim 21. Juli. 1843.

Da« , Badische Gewerbeblatt" erscheint wöchentlich einmal. — Geeignete Beiträge, welche an die Redaction des Morgenblattcs i»
Mannheim zu richten sind, werden von Jedermann mit Dank ausgenommen. — Bestellungen auf das „Mannheimer Morgenblau" nehmen
«Ule Postanstalten Deutschlands an. Preis das halbe Jahr — vom 1. Juli bis Zi. Dezember — in ganz Baden mit Inbegriff der Post»
Gebühren sl. 2. 43 kr. — In Würtcmberg, Baiern, Hessen, Sachsen, Preußen, Schweiz, Frankreich re. etwa fl. 5. zo kr.

Warum wenden sich nnr die niedersten
Klaffen znrn Gewerbsstande.
„Eins der besten Mittel der jetzigen Nah-
„rungslosigkeit mindestens theilweise adzuhelfen,
„den übermäßigen Andrang zum Studiren und
„das Trachten nach Titeln und öffentlichen Aem-
„tern zu verhüten und tüchtige und wackere
„Jünglinge und Männer wieder den Künsten
„und Handwerken mit Lust und Eifer zuzuwen-
„den, dürfte unstreitig darin bestehen, den jetzt
„leider nur bleiernen Boden der Künste und
„Handwerke wiederum in einen goldenen umzu-
handeln."
Ueber diese schon oft in öffentlichen Blät-
tern ausgesprochenen Worte erlaube ich mir meine
Ansichten zu veröffentlichen.
Nicht der „bleierne" Boden der Gewerbe, der
gar oft noch ein goldener ist,, macht es, daß
sich so Wenige und nur aus den niedersten Stän-
den dem Gewerbestande zuwenden, sondern der
traurige Umstand, daß der Handwerksstand ein
ungeehrter, mißachteter ist, daß jeder Taglohn-
schreiber, der einmal mens» decliniren lernte,
sich mehr dünkt und dünken darf, als der ge-
schickteste Handwerker; daß unsere „geschloffe-
nen" Gesellschaften (diese verderblichen Aus-
wüchse wahrer Geselligkeit) den Stand des Ge-
werbtreibenden ausschlicßen, weil er nicht zu
den Gebildeteren (?) gehört, während sie ei-
nem armseligen Schreiber, weil er studirt hat,
ihre Hallen öffnen. Man sehe nur mit welchem
Hochmuth solche Leute dem schlichten Handwerks-
manne begegnen, dem sie gar oft noch dazu
schuldig sind; mit welch Nase rümpfender Herab-
lassung die in erborgten Kleidern einhergehende
Frau der ftudirten Herren die brave, fleißige
thätige Frau des Handwerksmanns grüßt. Wie
oft hört man schon Kinder die Schimpfworte
aus dem Gewerbsstande nehmen, z. B. du arm-
seliger Schneider u. s. w.; wie selten fast gar
nicht aus dem Stande der Gebildeteren: warum ?

— weil der Handwerksstand der ungeehrte, der
mißachtete ist.
Diesem Nebel kann aber der Gewerbsstand
selbst am sichersten abhelfen. Er muß dahin
wirken, daß seine Knaben ihren Stolz darin
finden, ihr Gewerbe von allen Seiten tüchtig
zu erlernen; daß sie sich durch Sittenreinheit
und gutes Benchmen auszeichnen, nicht aber
die Modethorhcuen der Gebildeten nachahmen.
Die ehrende Schürze muß das Zeichen der Thä-
thigkeit, muß der Schmuck des Lehrlings, Rein-
heit im Anzuge seine Zierde sein. Nicht zu Haus-
arbeiten und zum Kmoerwarten soll ihn der Mei-
ster gebrauchen, sondern, außer zur Arbeit zum
Besuche gewerblicher Lehranstalten und Fortbil-
dungsschulen anhalren, und den Gesellen soll
er sittlich überwachen, ihn als Gehülfen freund-
lich an sich ziehen, nicht wie einen Lohnknecht
behandeln. Der Gewerbsftand muß dahin wir-
ken, daß seine Mädchen nicht Putz- und Mode-
puppen, sondern tüchtige Hausmädchen, später
brave Frauen und Mütter werden. Der Mei-
ster selbst muß dahin streben, wirklicher „Mei-
ster" zu werden, der That, nicht dem Namen nach.
Er und die Meisterin sollen nicht glauben, daß
der modische Rock und das neue modische Kleid
allein es sei, was ihnen bei den Gebildeteren
wenigstens einige Duldung verschaffe; daß eine
des Sonntags angenommene affectirte Ausspra-
che, anstatt ihres die Woche über gesprochenen
Kauderwälsch, sie des Sonntags über sich selbst
erhebe. Wirkliche, wahre Bildung, Veredlung
des Geistes und Herzens sollen sie sich und ih-
ren Kindern verschaffen, und sie werden bald
die durch die angegebenen Versuche nicht erreichte
Achtung gewinnen.
Der Gewerbsmann glaube doch ja nicht,
daß der sogenannte „gebildte" Stand diese wahre
Bildung des Geistes und Herzens durchweg habe.
Es gibt darunter gar traurige Zerrbilder der
wahren Bildung, die ihre Beschränktheit hinter
 
Annotationen