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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Die neue Richtung im deutschen Schrifttum, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0023

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ebenso äutzerlich geschlossene, Drama, Roman, Lyrik, bildende Kunst und
vielleicht sogar Musik umfassende „Neuorientierung" der künstlerischen
Absichten wie in dieser „neuen Richtung" dagewesen ist; haben auch an-
zuerkennen, daß bloße Erfolggier, buchhändlerische Geschicklichkeit und lite-
rarische Klüngelwirtschaft diese allenthalben zu beobachtende Wirkung allein
nicht Hervorbringen können, daß man Persönlichkeiten wie Däubler, Ed-
schmid und vielen Anderen mit der Unterstellung solcher Gründe nicht
gerecht wird. Auch scheinen mir die inneren Anlässe der Richtung zu
deutlich, als daß man sie zugunsten rein äußerer einfach vernachlässigen
dürfte. Andere meinten, ich überschätze das Gewicht der von mir ange«
führten programmatischen Außerungen. Hätte ich dies getan, so hätte
ich Ihre wüste Lächerlichkeit ganz anders zu erweisen getrachtet. Indessen
ist mir wohl bewußt, daß Programme jugendlicher Bewegungen meift
mehr Iakobinertum als Reformationsgehalt bringen; eben darum habe
ich nur die äußersten Amrisse der neuen Literatur von jenen Programmen
vorfichtig abgelesen. Wieder Andre warfen mir vor, ich habe die ganze
Frage nicht tief genug gesehen; das Problem der neuen Richtung sei das
typische Problem des wurzellosen Literatentums oder auch das Problem
des geistigen Menschen schlechthin, in beiden, verschiedenen, Fällen sei
es weltgeschichtlich verankert und müsse so gesehen und ergründet werden.
Das ist insoweit richtig, als ich in meinem ersten Aufsatz eben nur Um-
risse und Vorläufigkei^en geben konnte und wollte.

G

»BÄ Nmögliches versuchen hieße es, wenn man eine Bewegung, die tausend
^Geister beschäftigt und erfüllt und sich in Tausenden von Zeugnissen
darlegt, durch eine Generalkritik gleichsam „erledigen" wollte. Solcher
Absicht stehen zwei Tatsachen entgegen. Einmal, daß eine literarisch-
künstlerische Bewegung heute meist nicht nur die Erfüllung rein künstle-
rischer Forderungen ist. Man hat, als Paul Ernst, Lublinski und einige
Andere auf eine neue Formulierung und Befestigung älterer ästhetischer
Forderungen (zum Beispiel an die „Form" des Dramas, der Novelle usw.)
durch Wort und Beispiel drängten, von einer „neuklassischen Bewegung"
gesprochen. Zu Rnrecht, wie sich nun schon gezeigt hat; denn zu einer
„Bewegung" Urangelte jenen Außerungen das Wichtigste: die Menge
der Bewegten. Weder eine schöpferische Iüngerschaft, noch ein innerlich
teilnehmendes, dewegtes Publikum hat sich für die neuklassischen Ideen
gefunden. Dagegen hat die „neue Richtung^ beides, die Tiefe der Er-
regung und die Breite der Auswirkung. Das hängt vor allem damit
zusammen, daß ihre Quelle und damit ihre Zielstrebigkeit und Wirksam-
keit nicht allein im Gebiet des Asthetischen liegen. Sie ist in irgendeiner
Weise mit den gesamten Lebensfragen einer großen Gruppe
von Menschen verbunden, sie entspringt als literarischer Lösungsversuch
Spannungen, die wir soziologisch auch in ganz unkünstleri-
schen Menschen finden, und wirkt daher auf eine größere Öffentlichkeit
zurück. Eben dies verbindet sie als Typus einer literarischen Bewegung
mit der „naturalistischen", mag sie ihr auch an Beheutung nachstehen.
Auch der Naturalismus gewann seine Bedeutung nicht nur, weil er neue
ästhetische Forderungen ^erhob und erfüllte, sondern weil er auch zu wissen-
schaftlichen, sozialen, Politischen Zeitbedürfnissen als entsprechender Aus-

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