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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1917)
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Goethe und der Tod: auch Passionsgedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0295

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Goethe und der Tod

Auch Passionsgedanken

crs Geheimnis des Sterbens und des Todes klopft leiser oder ver«'
^^nehmlicher immersort an das Bewußtsein unsres Lebens. Im Iahres«
^2^lauf naht wieder der Karfreitagszauber, wo die Christenheit an den
Tod auf Golgatha denkt, während die Landschaft sich zu neuem Leben regt.
Ietzt aber übertönt der Krieg auch diesen Gedanken. Gerade angesichts
des aufblühenden Lebens steht ein unerhörtes Kampfsterben unter den
Völkern bevor. Bedrängt von der Erdenschwere blickt der gewöhnliche
Sterbliche gern auf die sibyllinischen Führer in seinem Volke. So möge
denn Goethe, dessen Todesstunde sich in diesen Tagen wieder jährt, be«
fragt werden, wie er über Sterben und Tod dachte.

In dem Kinde Wolfgang hatten die Nachrichten vom Erdbeben zu
Lissabon einen tiefen Lindruck hinterlassen, das feste biblische Gefüge
seines christlichen Vorstellungskreises war zum ersten Male heftig ei>
schüttert. Die Schatten des Vernichtungsgeheimnisses hatten das Gemüt
des Knaben gestreift und bilden fortan eine der großen Fragen, die mit
Goethe wachsen, die seinem bewußten Leben bald näher bald ferner stehen^
einmal gewaltig Hervorbrechend, fast ihn vernichtend, dann scheinbar ver«
schwindend, auf den letzten tzöhen seines Lebenspfades aber rein und ge-
klärt wieder auftauchen.

Als dem 22jährigen Studenten in Straßburg der Großvater Textor
starb, schrieb er der Großmutter: „Bun begleiten Ihre Tränen einen Ge-
mahl zu der ewigen Sabbatruhe, einen Mann, der seinen Wochenlohn
redlich verdient hat. Er hat ihn nun." Und wenn er dann fortfährt, der
Verstorbene werde „an dem Ort der Vergeltung" die Verdienste der Groß-
mutter um ihn zu rühmen wissen, so vertritt er hier den Glauben an eine
Fortdauer der Seele nach dem Tode. Dem ist er auch bis zu seinem
Lebensende ständig treu geblieben. Er glaubte an eine Wiedervereini«
gung liebender Seelen.

^Lotte, wir werden uns wiedersehen, hier oder dort wiedersehen!" ruft
Goethe-Werther aus, und an einer späteren Stelle des Buches: ^Wie kann
ich vergehen, wie kannst du vergehen? Wir sind ja ... Nahe am
Grabe wird es mir heller. Wir werden sein, wir werden uns wieder^
sehen.^ Die WerthersLimmung droht dem Dichter selbst den Tod. Man
wird dem Begriffe „Wertherstimmung" nicht gerecht, wenn man ihn bloß,
als Stimmung der „unglücklichen Liebe^ auffaßt. Der Werther ist nicht
nur eine Liebesgeschichte. Er bedeutet die Krisis in dem Kampfe Goethes
zwischen Leben und Tod überhaupt, in dem Kampfe, worein ihn sein
eigener Titanismus immer tiefer geführt hat. In diesem Punkte be-
rühren sich alle Schöpfungen des Litanischen Iünglings: vom Prometheus
bis zum Ewigen Iuden, vom Faust bis zum Werther. In ihnen allen
drängt die junge göttliche Lebenskraft Goethes stürmend durch das UniE
versum seiner Zeit, und es ist, als ob alle diese seine Kräfte sich aus-
weiteten, so weit wie möglich, bis sie ihre Machtgrenze, die Lebens*
grenze selbst ausgetastet haben. Wohl spürt das Goethesche Anendlich«
keitsgefühl, daß seine Kräfte weiter reichen würden, wenn die tzindernisse
der gesetzten Welt nicht um ihn wären. Der gesetzten Welt, an der Faust
und Werther so leiden! An beide tritt die Versuchung heran, ihre Macht-'
grenze zu überspringen. Und diese Versuchung ist der Tod. Goethe über»
 
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