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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: "Neuorientierung" als Schlagwort und als Sache
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Ein Kampf der Moralen?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0135

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für MLglieder errichten., so daß jeder in einer fremden Stadt ohne weite«
res einen „Kreis" vorfände. Aber ich rede schon zu viel und umschreibe
zu eng. Es gibt der Möglichkeiten Tausende. Die Tat fehlt uns.

<Ls liegt ja doch auf der tzand, daß eine politische „Neuorientie--
rung^ in Deutschland nur kommen kann, wenn zuvor eine politische
Orientierung eingetreten ist. Daß wir niemals auf eine befriedigende
Erfüllung der zahllosen Hoffnungen von heute rechnen dürfen, wenn wir
nicht alle selbst an dieser Lrfüllung zu arbeiten gewillt sind. Daß wir
das Zeit« und Kraftopfer unsrer eignen Politisierung ohne jedes Schielen
auf persönlichen Vorteil bringen müssen, um späteren Geschlechtern ein

innerlich umgestaltetes Vaterland zu fchaffen. jmf

Wolfgang Schumann

Ein Kampf der Moralen?

(Schluß)

ine ganz merkwürdige Bestätigung der bisher vorgetragenen Anschau-
O^ungen kommt aus der Schweiz. Um so merkwürdiger, als sie völlig
unfreiwMg ein Beispiel dafür gibt, wie in vollkommener Ehrlichkeit und
mit warmer Vegeisterung im Dienst der Manchestermoral ein Sozial--
demokrat eine ganze Moralhistorie und -philosophie aufstellen kann, um
ein neutrales Volk zum — im Sinn des Urhebers freilich nur kultu-
rellen — Anschluß an die Kapitalistenvölker zu bewegen.

Ich habe bereits in der „Christlichen Welt" vom 28. September über
dieses Pronunziamento berichtet und es ausführlich durchgesprochen. Ich
wiederhole hier nur das Nötigste.

Ende des Iahres (9(5 beriet eine schweizerische tzochschullehrerversamm-
lung zu Bern über die Gefahren, die der Schweizer Änabhängigkeit auf
geistigem Gebiet drohen möchten. Der erste Diskussionsredner, Professor
Ragaz aus Zürich, hatte für die Theologie und für die Deutsche Schweiz
zu sprechen. Er beantwortete die Frage, ob der Schweizer Selbständigkeit
von religiöser Seite her eine Gefahr drohe, mit einem starken Ia. Eine
sehr „ernste", eine ^„tödliche Gefahr". Und zwar von Deutschland her,
dessen Einfluß gerade auf religiösem Gebiet sehr groß sei. An sich hätte
das nichts Schlimmes zu besagen, wenn der Einfluß nicht von einem
Deutschland ausginge, das seit einigen Iahrzehnten aus dem mensch--
heitlich gerichteten der Klässiker zu dem imperialistisch gerichteten bis-
marckischen, moltkeschen, nietzscheschen Deutschland Naumanns geworden
wäre. Auch Rohrbach und der Unterzeichnete bekommen durch Stichworte
aus ihren Gedankengängen hier einen Platz.

Es sei in diesem neuen Deutschland der Geist Luthers wieder erwacht.
Diesen Geist Luthers versucht er nun in Gegensatz zu einem besondern
„reformierten" Geist der Schweiz zu setzen. Mich dünkte, er verwechselt
dabei durchgängig die tiefinnerliche religiöse Grundstellung Luthers, die
in den andern Reformatoren ähnlich vorhanden war, mit einer bestimm-
ten Moral, die aus ihr hervorgehen kann, je nachdem die Verhältnisse
beschaffen sind.

Am deutlichsten ist diese Verwechslung, wo er die ganz zufälligen
politischen Verhältnisse in dem Teil Deutschlands, dessen Kirchen Luthers
Aamen im besonderen annahmen, in Luthers Geist zurückträgt und ihn

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