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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1917)
DOI Artikel:
Waescher, Johanna; Stapel, Wilhelm: Die deutsche Frauenbewegung und die Erwerbsarbeit der Frau: zwei Meinungen
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Schumann, Wolfgang: Musik als Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0254

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die einfacheren WirtschaftsverhälLnisse für die Erleichterung der tzaus«
haltsführung! Eine Ausbildung wie idie angedeutete würde auch der
Frau im Erwerbsleben nützlich fein. Anfang und Ende aber aller Aus«
führungen ist: Schafft mehr Möglichkeiten für Heime und Familien, so
wird alles weit leichter werden! fmf Wilh elm Stap el

Musik als Kritik

^^ie scharfe Prägung des Gedankens, das Musikschaffen als Kritik
aufzufassen, stammt aus Paul Bekkers geistvollem Buch „Das
deutsche Musikleben".^ Sie ist die Frucht einer grundsätzlich sozio«
logisch eingestellten Betrachtung des gesamten Kunstlebens. Vollkommen
zutreffend bemerkt Bekker, „daß das Gesellschaftswesen nicht nur den hier
oder da vielleicht bedeutsamer Hervortretenden, im allgemeinen aber doch
nur bescheiden ausschmückenden tzintergrund der Musik bildet, sondern
daß diese Kunst durch die gestaltenden Gesetze ihrer Materie mit dem
Gesellschaftswesen ihrer Zeit unlöslich verflochten ist". Dieser Ausdruck
zielt auf die Latsache, daß ein bloßes Töne-setzen, ohne Nücksicht auf
die Ausführung und auf die Wirküng, und damit auf das „gesellschaftliche
Wahrnehmungsvermögen", daß also eine beliebige Behandlung der Klang«
„Materie" keinem Musiker möglich ist. Bekker fährt fort: „Der Schaf«
fende wird dadurch keineswegs soziologisch tyrannisiert und zu einer Wil«
lensbeugung gezwungen. Im Gegenteil: Ie mannigfaltiger und reich--
haltiger die soziologischen Vorbedingungen sind, um so kräftigere Rei«
bungsflächen bieten sie dem Schaffenden, um so bedeutsamer kann sich
an ihnen die Persönlichkeit entfalten. Dem entspricht auch die Erfahrung.
Sie lehrt, daß gerade der krLftigste gesellschaftliche Nährboden die stärksten
Persönlichkeiten getragen hat. Zeiten mit gesellschaftlich schwachem Ligen-
leben fördern dagegen den Individualismus. Dieser aber endigt infolge
unzureichender gesellschaftlicher Verankerung als Artistentum. — Die Be«
deutung der Persönlichkeit ergibt sich demnach aus ihrem Verhalten
gegenüber den soziologischen Schaffensbedingungen. Der Schaffende kann
das zeitgenössische Gesellschaftswesen in den Grundzügen anerkennen und
dann durch die ausschließlich ihm anheimgegebene Auswahl unter den
vorhandenen Ideen diese zu persönlicher Zusammenfassung bringen und
weitergeben. Oder er kann das Gesellschaftswesen seiner Zeit verwerfen
und dann im Gegensatz zu dem Vorhandenen ein nur durch diesen Wider-
spruch ermöglichtes Neues entwersen. Das sind die beiden Wege, die
ihm zur Betätigung seines Persönlichkeitswillens offenstehen. — Das
GesellschafLswesen einer Zeit ist keine gegebene absolute Größe. Es stellt
sich nicht nur in den mannigflachsten Erscheinungsarten dar. Es unterliegt
auch innerhalb jeder einzelnen Erscheinungsart dem Wechsel der Anschau«
ung, bleibt daher selbst bei völliger Äbereinstimmung gegebener äußerer
Bedingungen von vornherein in der Art der jeweiligen Erfassung an die
Persönlichkeit des Schaffenden gebunden. So sind die Symphonien von
Brahms und von Bruckner in unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Nach«
barschaft entstanden und weisen doch Angleichheiten auf, die sie der
Formal-Asthetik geradezu als ästhetische Gegenpole erscheinen ließen. Frei--
Lich übersah man dabei zunächst über den auffallenden individuellen Ver-

^ Vgl. den Offenen Brief hierüber an Bekker im 2. Ianuarheft. Das Buch
erschien bei Schuster L Löffler in Berlin W6. (336 S., geh. 6, geb. 71/2 W--)
 
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