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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
DOI article:
Jesser, Franz: Nach Kaiser Franz Josephs Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0039

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Schlossers ab: „Der große Kranke an der Donau walzte sich wieder einmal
auf die andere Seite seines Lagers". Sie weist auf die raschen System«
änderungen als Zeichen innerer politischer Rnsicherheit hin und vermißt
die Folgerichtigkeit in den Handlungen des Monarchen. Sie begeht
dabei den Fehler, den Monarchen als eine unveränderliche Größe der
allgemeinen Entwicklung gegenüberzustellen. Sie vergißt, daß sich die
persönliche Entwicklung eines Herrschers nicht außerhalb, sondern inner«
halb der allgemeinen Entwicklung vollzieht, daß auch ein eigenwilliger
Monarch ein Kind seiner Zeit ist, namentlich dann, wenn er als Iüngling
den Thron besteigt und den Umsturz aller wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Lebensbedingungen fast vom Beginne an miterlebt.

Die allgemeine Entwicklung dieser Amsturzperiode verläuft nirgends,
am allerwenigsten im Donaustaate, in gerader Linie. Aberall ist sie reich
an Schwankungen, in denen sich der wechselvolle Kampf der Ideen aus»
drückt. Sich dieser unruhigen Sntwicklung stets rasch angepaßt zu haben,
das macht die politische Eigenart des Kaisers aus. Seine Regierungs-
handlungen nahmen nicht die wahrscheinlichen Ergebnisse der allgemei»
nen Entwicklung vorweg, wie die seines ebenso volkstümlichen Ahnen
Ioseph II. — sie stemmten sich ihr aber auch nicht dauernd entgegen,
wie die der Ferdinande — sie waren vielmehr stets die rasche Liquidation
eines verhältnismäßig kurzen Entwicklungsabschnittes. Es ist heute noch
müßig, zu untersuchen, ob diese Anpassung nicht manchmal allzu rasch
erfolgt ist und ob es nicht besser gewesen wäre, die Entwicklungen äus»
reifen zü lassen. Nur der rückschauende Gefchichtsschreiber, selten nur der
mitlebende Politiker, kann feststellen, wenn eine Sntwicklungsperiode
zu einem Abschlusse gelangt ist. Daß Kaiser Franz Ioseph niemals
seinen Eigenwillen zu Eigensinn überspißt hat, daß er lieber inkonsequent
als rechthaberisch erscheinen wollte, wird ihm einst als tzerrschertugend
angerechnet werden.

Im Sturmjahre s8^8 bestieg er den Thron. Der alte patriarchalische,
absolutistische Staat war in seinen Grundfesten erschüttert, der großöster»
reichische Zentralismus durch die ungarische Revolution als unhaltbar
erwiesen. Die dentsche tzülle, die durch die militärische und zivile Ver»
waltung und durch die Vorherrschaft deutscher Kulturformen in den geisti»
gen und sozialen Oberschichten aller Völker über die Monarchie gebreitel
war, wurde an vielen Stellen zerrissen. Die Nationalitäten forderten
sofort nicht nur national«kulturelles, fondern auch national-politischeö
Eigenleben. Sie verwarfen darum den Sinheitsstaat. den Maria There»
sia zu schaffen begonnen, und forderten die Nückkehr zur altertümlichen
föderalistischen Staatsform.

Zu diesen innervolitischen Veränderungen des traditionell geworde»
nen Kräfteverhältnisses gesellten sich die außenpolitischen.' Die Wahl
Friedrich Wilhelms zum Deutschen Kaiser war ein unverkennbarer Be-
weis, daß die Stellung Österreichs als deutscher Vormacht unsicher ge-
worden war. And der italienische Besiß konnte nur mit größter An-
strengung erhalten werden. In beiden Fällen itand das nationale Prinzip
wider Österreich, in beiden Fällen erschien ÖÜerreich als ein gindernis
oder als ein Feind der freiheitlichen Sntwickelung.

Auch in der inneren Politik der Monarchie wirkten freiheitliche und
völkische Ideale wahrhaft revolutionär. Das Freiheitsideal der Deut-
schen Österrelchs war ein rein geistig--politisches, frei von jeder nationalen
 
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