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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

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Heft 10 (2. Februarheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Prosadichtung aus der Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0194

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die Dauer wenig erfreulichen Tone des „Hurnors" (mit Anführungs--
zeichen) geschrieben sind, daß Lienert fast immer ein wenig auf die Lach-
muskeln und fast nie rein auf die Sache selbst zielt, können wir nicht über-
sehen. Gern bereit, zu lachen und auch zu lächeln, nehmen wir die kleine-
ren Stücke des Buchs als Anreiz dazu und als trotz alledem treuherzige
Kleinigkeiten hin. Wenn Lienert aber eine aufgelegte Tragödie vom inne-
ren Gewicht der Kellerschen Erzählung „Romeo und Iulia^, wie er sie
im „Iauchzenden Bergwald" anlegt, aller zehn Seiten ins Spaßige um-
biegt, so versagen wir trotz der mancherlei Tiefen seines Schauens dieser
Stilwidrigkeit die innere Gefolgschaft. Von Alfred Huggen-
bergers „Heinrich Lentz" ist Stilwidrigkeit nicht zu vermelden. Im
Gegenteil: eine reinere, klarere Bauerngeschichte ist selbst diesem Spezia-
listen der Dorserzählung nie gelungen. Ünd diese neueste hat nicht nur
Lchtheit, sondern auch eine gewisse unverkennbare Feinheit des Aufbaus,
den Reiz unverfälschten, tiefen Empfindens, das sich mit bäuerlicher Klein-
lichkeit und Gefühlsenge so gut verträgt. Aberreich an Schweizer Dorf-
geschichten, können wir so guter Arbeit die schuldige Achtung doch nicht
versagen. Freilich bleibt es auch diesmal dabei, daß tzuggenberger der
Sinn für Größe und Tiefe nicht gegeben ist. Aber das Alltägliche wachsen
seine Gestalten nicht einen Augenblick hinaus, und dem Verfasser liegt
offenbar nichts daran, den Blick über den engheimatlichen Bannkreis hin-
über auch nur auf allgemein Eidgenössisches zu lenken. Anders steht es
mit Paul Ilgs Novellen „Was mein einst war", einer Sammlung von
Erzählungen jugendlicher Lrlebnisse. Wäre dies Buch ein Erstling, so würde
ich für mein Teil ohne Vorbehalt in das hohe Lob einstimmen, das vor allem
die Schweizer Presse darüber angehoben hat. „Liebevolle Leidenschaft der
Gestaltung des Sinzelerlebens^, „strenge, zielbewußte Form", „meister-
hafte Schilderung der Gefühle des sozialen SLiefkindes^, „ganz persönliche
Sprache", „mittägliche tzöhe reifender Lrzählungskunst" —, das alles
ist kaum zuviel gesagt, wenn man die neuerdings üblich gewordenen kriti-
schen Superlative recht versteht. Gewisse Bedenken aber schaltet es nicht aus.
Linmal, daß gerade die „soziale Stiefkindschaft" Ilg immer wieder zum
Anlaß wird, um überempfindsame Linzelerlebnisse höchst liebevoll her-
auszuheben, Lrlebnisse, die oft schon das Krankhafte streifen und deren
Ablauf daher ganz individuell bedingt ist. Das hindert mich daran, daß
ich „Kellersche Wurzelhaftigkeit" bei Ilg schauen könnte — Kellers Lebens-
luft war, aller sonstigen Rnterschiede ungeachtet, ein großgefühltes Volks-
tum, Ilgs Bährboden ist eine bestimmte soziale Schicht, eben die der Stief-
kinder des Geschicks, und was sie ausatmet, ist getränkt mit einseitiger
sozialer Leidenschaft. Wurzellos sind fast alle diese Gestalten und wur-
zellos ist damit ein wesentlicher Bestandteil dieser Dichtungen. Dazu
kommt aber noch, daß Ilgs vier frühere Romane nahezu die gleichen
Eigentümlichkeiten des Stoffes und der Lebensauffassung in tieferer und
geschlossenerer Weise offenbaren, als diese Lrzählungen (selbst im „starken
Mann" kommt Ilg nicht davon los, wenn auch der äußere Anlaß ein
neuer ist). Außer der Novelle „Maria Thurnheer" des neuen Bandes,
die allerdings eine reife, stimmung- und gefühlsatte Dichtung von unge-
wöhnlicher Vollendung ist, scheinen mir diese Erzählungen mithin weder
den hochbegabten Dichter in neuem Licht und auf besonders erfreulichem
Wege, noch ein für uns bedeutsames Stück Welt zu zeigen.

An Heinrich Federers größere Romane trete ich für mein Teil
 
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