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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

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Heft 10 (2. Februarheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0227

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die tzanno Buddenbrook später beim
Typhus unterliegen läßt.

Die Schulangst grassiert schon im
frühesten Alter und mitunter epi-
demisch unter den Kindern, sie ist
oft schon lange da, bevor sie zur
Schule gehn. „Warte nur, wenn du
erst zur Schule gehst!" sagt die Mut«
ter zu ihrem unartigen Kinde. Viele
werden ja bekanntlich von dieser
Angst einmal wieder befreit, viele
aber leiden an ihr die ganze Schul«
Zeit hindurch und manchmal noch
länger, und die Schulangst ist es, die
häufig bewirkt, daß mancher nur mit
Schaudern an seine Schulzeit zurück-
denkt.

Die Schulangst ist nun durchaus
nicht immer die ^leiche, sie macht
Wandlungen durch. Iuerst war sie
aus allgemeinen Anlustgefühlen des
Kindes entsprungen, verknüpft mit
der Vorstellung irgendeines gefahr-
drohenden Ereignisses. Der Inhalt
dieser Vorstellung war dem Kind
aber noch nicht klar. Lrst allmählich,
mit der geistigen Entwicklung, hat
die Schulangst ein oder mehrere Vor«
stellungsmotive zur Rrsache, sie wird
zur kontemplativen oder reflexiven
Schulangst. Diese Vorstellungsmo-
tive sind aber noch transzendenter
Natur, da sie lediglich der Phantasie
entspringen; nur ihr Anlaß ist em«
pirisch. Mit der weiteren geistigen
Entwicklung tritt die bewußte oder
empirisch motivierte Schulangst ein.
Diese drei Arten können als normal
bezeichnet werden. Krankhaft ist die
Schulangst, wenn sie jedes vernünf»
tigen Motives entbehrt. Man er»
kennt sie am besten daran, daß ihre
Affektäußerungen von ungewöhnlich
großer Intensität und in der Re-
gel von anderen psychischen Krank-
heitssymptomen begleitet sind, mei-
stens von neurasthenischen. Die
Wichtigkeit der rechtzeitigen Erken-
nung und tzeilung dieser krankhaf-
ten Schulangst kann nicht genug be-
.tont werden, weil andauernde Angst-

zustände zu mancherlei Störungen
führen können, wie z. B. zu psycho«
genen Muskellähmungen und
Sprachstörungen. Außerdem ent-
stehen im Zusammenhang mit an-
dauernden Angstzuständen quälende
Depressionen, die das Kind manch-
mal zum äußersten bringen kön-
nen. (Vergleiche hierzu meinen
in der „Schulgesundheitspflege" er-
schienenen Aufsatz „Zur Psychologie
der Schulangst und ihre therapeu-
tische Behandlung im Rnterricht".)

tzanno Buddenbrook, der sich in
einem derart fortgeschrittenen Sta-
dium der Schulangst noch nicht be-
findet, ist das Schulbeispiel eines
seelisch schwachen Schülers. In
diesem Alter sind Kinder in
psychischer tzinsicht so beschaffen,
daß sie schon durch einen plötz-
lich mit besonderer Macht auf sie
einwirkenden psychischen Angriff viel
eher das natürliche Gleichgewicht
ihrer Bewußtseinsvorgänge verlie-
ren, als das bei der gefestigteren
Organisation der Erwachsenen ge-
schieht. Die öffentliche Schule hat
die Aufgabe, diese psychisch Schwa-
chen zu erkennen, sie dem sachkun-
digen Arzt zu übergeben, der dann
in Gemeinschaft mit dem tzeilpäda-
gogen im Sinne einer seelischen Diä-
tetik wohltätig wirken und die Kin-
der psychisch beeinflussen kann. Nur
dieses Zusammenwirken eines Arztes
und eines tzeilpädagogen gibt die
Gewähr, Fälle wie den von tzanno
Buddenbrook endgültig zu heilen.

W. Kraßmoeller

Künstlerphantasie

e größer der Künstler, desto selbst-
loser beugt er sich vor den Inspi-
rationen seines Genius, desto de-
mütiger stellt er alle Wünsche seiner
Individualität zurück und seine
ganze Kraft in den geduldigen und
entsagungsvollen Dienst der . . .
Idee, desto ehrfurchtsvoller respek-
tiert er dasjenige, was ihm in den
 
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