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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

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Heft 12 (2. Märzheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0319

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den Bescherdenheit geziemt. Doch
ist nach allen Pädagogen, die etwas
taugen, die beste Unterstützung des
Anterrichts die Frage des Schülers.
Also will ich einige Fragen stellen.

Zunächst die, wie sich die beiden
Ausführungen zueinander verhal»
ten, s. daß „kein Frieden dauern
kann oder zu dauern verdient, der
nicht den Grundsatz anerkennt und
annimmt, daß die Regierungen alle
ihre gerechte Macht von der Zustim-
mung der Regierten ableiten", und
2. der Satz, daß „kein Volk darnach
streben sollte, seine Regierungsfor-
men auf irgend ein anderes Volk
oder auf eine andere Nation zu
erstrecken"? Verhalten sich diese
beiden Belehrungen zueinander wie
die beiden tzebel einer Iwickmühle,
von denen man je nach dem nähe«
ren Zweck, den man im Auge hat,
den einen oder den andern in Be-
wegung setzt? lind wer wird den
Platz am tzebel haben?

Ls gibt schlechterdings keinen
größeren Staat, Amerika nicht aus-
genommen, der nicht verschiedene
Nationalitäten in sich vereinigte.
Manche sind bereits völlig zusam-
mengewachsen, wie Franken und
Gallier in Frankreich — obwohl
ich vor einigen Iahren im „Cor-
riere della Sera" berichtet fand, die
Provenzalen nennten die Nordfran«
zosen „Sachsen^, wenn sie wütend
auf sie seien —, oder wie Angeln,
Normannen und Briten im eigent-
lichen (Lngland,, oder Deutsche,
Preußen, Wenden und ein Teil der
Polen im östlichen Preußen. Man-
chen gegenüber versuchen mit vie-
lem Fleiß die Staatsregierungen
die Einschmelzung mehr oder min-
der gewaltsam herbeizuführen, wie
zum Beispiel die amerikanische,
welche Nationalitäten ihres Staats-
gebiets, die sich gegen Vergewalti-
gung sträuben, als „Bindestrich-
Amerikaner" von Amts wegen ver-
höhnt und schikaniert, oder wie die

französische den Vlamen gegenüber,
die unsrige den Polen, die unga-
rische Slawen und Deutschen, die
englische den Iren gegenüber. In
schlimmer gelagerten Fällen —
immer vom Wilsonschen Nationali-
tätenprinzip aus geurteilt! — wird
umgekehrt die von der betreffenden
Nationalität gLwünschte Assimilie-
rung verweigert und sie unter de-
mütig end e Ausn ahmeb ehand lung
gestellt, wie die Neger in den Ver-
einigten Staaten. In den schlimm-
sten ALllen wird gar das Betreten
des Staatsgebiets den Angehöri-
gen fremder Nationalitäten von
vornherein verboten, wie von den
Vereinigten Staaten den Iapanern,
italienischen A'nalphabeten, Chine-
sen und allgemein den ärmeren
Klassen aller Völker.

Will nun Professor Wilson in
all diesen und den nicht zählbaren
ähnlichen Fällen die Befragung vor-
genommen wissen? And zwar unter
Kriegsdrohung, da ein Friede ohne
sie „nicht zu dauern verdient"?

Angenommen ja; angenommen,
der Präsident Wilson wünsche aller-
dings in allen solchen Fällen diese
Befragung und setze sie für sein
eigenes tzerrschaftsgebiet durch, —
auf welche Weise soll sie eingerichtet
werden? Ich nehme an, er denkt
an das Allheilmittel der westlichen
Kultur, die Abstimmung mit Mehr-
heitsentscheidung. Sind dann die
Minderheiten rechtlos? In dem-
selben Augenblick) in dem eine
Mehrheit zustimmt, ist doch die
Minderheit für sich eine „ohne ihre
Zustimmung abgetretene Nationali-
tät", die behandelt ist, „als wäre
sie Eigentum".

Aber gesetzt, diese Schwierigkeit
wäre überwunden — obwohl ich
nicht sehe, wie sie überwunden wer-
den kann —, in welchen Zeiträu-
men soll dann neu abgestimmt wer-
den? alle Iahr? oder tzalbjahr?
oder noch öster? So etwas ändert

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