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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 13.1868

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https://doi.org/10.11588/diglit.13560#0083

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69

Kunstliteratur und Album.

I. Kunstliteratur.

f Aesthetik. — Geschichte. — Technik.

cschichte der christlichen Malerei i» ihrem Ent-
wicklungsgänge dargestellt von H. G. Hotho, Prof,
an der k. Friedrich-Wilhclms-Universität und Direktor
der Kupferstichsammlnug der k. Museen zu Berlin.
1. Lieferung. — Stuttgart. Verlag von Ebner und
> Seubert. 1867. (Forts.)

Schon in den ersten Worten der „Einleitung" wird
der große Gegensatz der christlichen Kulturentwicklung gegen die antike Welt
vom Gesichtspunkt der Kunstanschauung dahin scharf ausgesprochen, daß
die erstere wesentlich malerischer Natur sei. „So mannigfaltig die Ma-
lerei — sagt der Vers. —, vom Orient abgesehen, in Griechenland und im
römischen Weltreich Säulenhallen, Palläste und Häuser mit Götter- und Hel-
densagen , Landschaften, Thieren und Früchten geschmückt hat, so führt ihr
doch zuerst die christliche Anschauung Probleme zu, durch deren Neichthum
und Tiefe der ganze Umfang der Phantasie und jede Steigerung der Form
und Farbe in Frage kommen" . . „Die Malerei gelangt erst hier auf einen
Standpunkt, von welchem aus sie den Styl ihrer Darstellung nicht
mehr von anderen Künsten entlehnt, sondern umgekehrt in erhöhter
Geltung das eigentlich Malerische, das ihr Gebiet ist, epochenweise
ans Architektur und Skulptur überträgt".

Es ist dies unseres Wissens das erste Mal, das wir in einem streng
kunsthistorischen Werke die von uns so oft und eindringlich vertheidigte An-
sicht deutlich ausgesprochen und bestätigt finden, daß die Grundanschauung
der antiken Kunst wesentlich plastischer, die der christlichen Zeit wesentlich ma-
lerischer Art sei, und daß diese Grundanschauung allen besonderen Künsten
den bestimmenden Charakter aufprägt, so daß z. B. die antike Architektur zur
christlichen Architektur (ein griechischer Tempel zu einer gothischen Kathedrale)
sich wie plastische Architektur zu malerischer Architektur verhalte. In der Thal wird
i» der chrtstlichen Kunst die früher an die Plastik und Architektur gebundene
Malerei zuerst frei und herrschend, ebenso wie die im Orientalismus an die
Architektur gebundene Plastik in der Antike zur Freiheit und Herrschaft ge-
langt. Der Verfasser drückt dies durch die Worte aus: „Die griechisch-
römische Anschauung drückt sich am schönsten skulptur-plastisch aus, die
christliche am vollendetsten malerisch". Daß hiermit einestheils, was
den Inhalt betrifft, die größere Vertiefung in das geistige Element, anderen-
theils der größere Reichlhum an Mitteln, den die Malerei für die Man-
nigfaltigkeit des Ausdrucks besitzt, in engster Beziehung stehen, ist selbstver-
ständlich —: aber die Ursache dieses Gegensatzes liegt weder in jener größeren
Tiefe des christlichen Inhalts noch in diesem Reichthum an Mitteln, sondern in der
Beschränktheit des antiken Geistes selbst gegen den höheren und umfassenderen
christlichen. Mit feinem Verständniß dieses Unterschiedes erkennt daher der
Verfasser zwischen Malerei und Musik eine nähere Verwandtschaft als zwischen
Malerei und Skulptur — nicht vom Gesichtspunkt der äußeren Erscheinungs-
art (schon deshalb nicht, weil Malerei und Musik verschiedenen, Malerei und
Skulptur demselben Sinnesgebiet angehören), sondern vom Gesichtspunkte
Dessen, was zum Ausdruck durch sie gelangt, nämlich dort (in Malerei und
Musik) die Innerlichkeit, die Seelenhaftigkeit, hier (in der Skulptur) das
Aeußere, die Schönheit der Form schlechthin. Weiterhin ist cs das Element
der Lust, welches in Wechselbeziehung mit Licht und Farbe der Malerei eine
tiefere, dem inneren Leben des Menschen verwandtere Ausdrucksgewalt ver-
leiht, und die Luft ist eben wiederum das Medium für den Ton. Die Pa-
rallele zwischen den Farben und Tönen ist deshalb keine zufällige, sondern
tief in ihrem verwandten Wesen begründete, daher auch die Uebertragung
der Bezeichnungen für die mannigfaltigen Weisen des Ausdrucks aus einer
Sphäre in die andere: wir sprechen von Klangfarben und von Farbentönen.

Mit besonderer Liebe führt der Verfasser dies Thema nach allen Seiten
des praktischen Erkennen« au«, um zu dem Resultat zu gelangen, daß die
Malerei die Hauptkunst der nachantikcn Weltanschauung sei.
„Die Wundergabe, in jedem Gebiet Formen- und Seelenschilderuug zugleich
Zu sein, das innerste Herz wie das äußere Geschehen vor Augen zu stellen,
ia mit demselben Blick und derselben Empfindung die ganze Natur zum sicht-
bar belebten Kunstwerk zu machen, erhebt in solchem Grade die Malerei

zur Hauptkuust der christlichen Völker, daß, wo die Antike nicht überwiegt,
die Schwesterkünste sich mehr oder minder dem Gruudzuge fügen, in welchem
der Maler erfindet und wirkt. Die Musik allein überflügelt ihn — spät
erst und immer dann nur, wenn Form und Farbe nicht ausreichen können,
die innere Bedeutung der Lebenskämpfe in ganzer Weite und Tiefe zu fassen,
und die gestalteulose Menschenbrust ihr Empfinden nur noch dem Echo der
Melodien vertraut".

Hier nun ist der Punkt, wo der Verfasser den Hebel des Gedankens
ansetzt, um zu zeigen, daß gerade jene scheinbare Niedrigkeit und Beschränkt-
heit der Entwickelung, in welcher die altchristliche Kunst in der Formlosigkeit
und Starrheit ihrer Anfänge gegen die hohe und reine Schönheit der Antike
zurückstand und Jahrhunderte zurückstehen mußte, ehe sich die Malerei zu
einem der antiken Skulptur ebenbürtigen Standpunkt emporzuarbeitcn ver-
mochte, um sie dann aber durch den Reichthnm ihres Inhalts und ihrer Er-
scheinungsweise weit zu überflügeln: daß, sagen wir, gerade scheinbare Nie-
drigkeit der ersten Entwicklung sich eben aus der ungeheuren Differenz er-
klärt, welche zwischen den Kräften und Mitteln, über die jene ersten Anfänge
der christlichen Malerei zu gebieten hatten, und dem unendlich hohen Ziel
der in dieser Kunst liegenden Entwicklungsfähigkeit obwaltete. Die antike
Skulptur hatte an sich eine engere Grenze, einen kürzeren, einfacheren Weg
bis zum erreichbaren Ideal: das Ziel der Malerei, die Grenze ihrer idealen
Bestrebungen lag unendlich weiter hinaus in die Zukunft, und die Höhe der
vollen Entwicklung konnte hier nur Schritt vor Schritt mit dein über-
haupt tiefer und reicher angelegten Entwicklungsgänge der christlichen Kultur-
welt erklommen werden. Sehr richtig schildert der Verfasser die Zustände
in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kulturentwicklung in ihrer Be-
ziehung und als Vorbedingung für die allmälige Entwickelung de« Kunstbe-
wnßtseins: „Obschon die Malerei ein volles Jahrtausend lang die Religion
ausschließlich zum Inhalt hat, als Kunst bedarf sie der weltlichen Bildung
für Geist und Hand. Der Halt und Zusammenhalt in Stamm und Fa-
milie, Recht und Staat muß die rohe Gewalt schon gebändigt haben. Die
Aneignung zu Verbrauch und Nutzen muß ebenso sehr der Freude, statt an
den Dingen selbst, an der Form der Dinge den Vorrang lassen. — Und
je reicher die Mittel, die diese Form zu freien Werken der Kunst erhöhen,
desto dringender setzt jede einzelne Kunst entsprechendes Handwerk, Verständ-
uiß und Bildung voraus"; besonders, möchten wir hinzusetzen, die letztere.
Gegenüber der natürlichen Barbarei, welche dem Enipfiudeu, Anschauen und
Denken, sowie in Folge dessen auch dem Handeln der ersten christlichen Völ-
ker anhaftete und welche den inneren, der Entfaltung entgegenreifenden Keim
einer tieferen Bildungskraft gleichsam mit einer harten und rauhen Schaale
umhüllte, bedurfte es starker und dauernd wirkender Mittel der Erweichung,
ehe jener Keim die ersten Sprossen zu treiben im Stande war. Und diese
Mittel lagen in der allmäligen Selbstbildung des sich zu einem höheren Be-
wußtsein befreienden Geistes in allen Gebieten des Lebens. Dies meint offen-
bar der Vers., wenn er bemerkt: „In Rücksicht auf diese Bildung jedoch ist
die christliche Kunst ein Jahrtausend lang schlechter als ihre Vorläufer gestellt.
Die Nation, in deren Mitte der neue Glaube sich aufgethau, bringt ihr von
keiner Seite die nöthige Hülfe. Das Christenthmn wandert zu langsamer
Weiterverbreitung aus. Doch wie weit es im Osten und Westen des römi-
schen Reichs, verfolgt, zur engeren Gemeinde, anerkannt, zur gesicherten Kirche
erstarken mag, pflanzt es sich nur einem Volksleben ein, dessen heidnische
innere und äußere Kultur dcni neuen Bekenntniß entgcgcnsteht".

(Fortsetzung folgt.)

Bemerkung. In der nächsten Nummer werden wir ein Verzeichniß
der zunächst zur Besprechung kominenden Werke bringen. (D. R.)

II. Album.

Deutsche Volkstrachten. Originalzcichnungen mit erklärenden
Notizen von Albert Kretschmer, Maler und Kostümier am
königl. Hoftheater zu Berlin. — Lieferung 9 u. 10. — Verlag
von I. G. Bach in Leipzig.

Abermals liegen uns — und zwar schon seit geraumer Zeit — zwei
neue Lieferungen dieses echt deutschen Nationalwerks vor. Indem wir auf
 
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