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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 13.1868

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https://doi.org/10.11588/diglit.13560#0415

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399

II. Aunftliteratur.

Aesthetik. — Zeschichte. — Technik.

Les nations rivales dans l’art par Ernest Chesneau. Paris,
Libraire acad. Didier et Co. 1868.

Fast allen Nationen, die durch die Kunst auf der pariser Weltausstellung
1867 vertreten waren, hat hier Gelegenheit gegeben, vergleichende Studien
über die Entwickelung der Kunst bei den Kulturvölkern anzustellen, und der
Büchermarkt hat uns mit mehreren einschlagenden Werken, die dieser Aus-
stellung ihren Ursprung verdanken, bekannt gemacht. Kein Wunder, daß
solche Studien auch am Orte der Ausstellung selbst angestellt wurden und
daß sich in ihren Urtheilcn besonders über die Kunst der außcrfranzösischen
Völker viel Interessantes und Belehrendes vorfindet. Eine solche französische
Stimme hören wir in oben angeführtem Werke, und diese Stimme dürfen
wir um so weniger überhören, als sie von einem fleißigen und gewiegten
Kunstforscher ausgeht. Was aber dem Werke im Voraus den Charakter der
Eingenommenheit verleiht — und wir müssen dies gleich voranschicken —,
das ist das Princip, auf dem der ganze Bau der Untersuchung ruht, die
Ansicht nämlich, daß die französische Kunstschule allein aus der Höhe stehe, die
anderen Schulen aber nur insofern Gutes leisten, als sie sich an die franzö-
sische anlehnen! Vielleicht hat zu manchem herben, auch ungerechten Urtheile
der Umstand Veranlassung gegeben, daß auf der Ausstellung selbst die fran-
zösische Kunst über den größten Raum verfügen konnte, während die anderen
Schulen darin beschränkt waren, so daß ein vollständiges Bild ihres ver-
schiedenen Charakters nicht zuni entsprechenden Ausdruck kommen konnte.

Der Verfasser geht nun so zu Werke, daß er zuerst die Entwickelung
und künstlerische Stellung jeder einzelnen Schule im Allgemeinen und daun
die ausgestellten Kunstwerke derselben insbesondere bespricht, und zwar zuerst
die Malerei, dann die Skulptur; einen Anhang bildet die japanesische Kunst.
Die englische Schule wird zuerst in die Arena herabgezogen, um sie mit dem
Urtheil abzufertigen, das in dem einen Worte exceptio» gipfelt. Man
wäre versucht, hier einen Verfall (decadence) zu sehen, doch könne eine Wieder-
geburt eintretcn. Mit der Ansicht des Verfassers, daß der allgemeine Ge-
schmack die Richtung der Kunst vorschreibe, können wir uns nicht befreunden,
da wir glauben, daß diese als freie Geistesthätigkeit umgekehrt auf den Ge-
schmack veredelnd wirken solle. So hart oft das Urtheil über die Werke ein-
zelner englischer Künstler ist, so müssen wir ihm, besonders was die soge-
nannten Praeraphaeliten angeht, die selbst in der Landschaft minutiös die
Realität in ihren Werken fixiren, beistimmen.

Die belgische Schule kommt besser weg; datirt doch ihre Auferstehung
von dem französischen Exulanten David her; der Verfasser bespricht darum
mit Vorliebe diese Wiedergeburt.

Die holländische Schule, welche kaum ein Schatten ihrer Vergangenheit
ist, wird nur ein geographischer Ausdruck. Natürlich wird besonders Alma
Tadema berücksichiigt, ein Meister, der zum ersten Mal auch auf der ber-
liner Ausstellung vertreten war; wir fanden aber in ihm, bei großer tech-
nischer Fertigkeit, hauptsächlich den gelehrten Archäologen, der mit Farben
antike Kulturgeschichte schreibt, d. h. für eine Zeit, die uns in vieler Hinsicht
zu ferne steht, um für die Kunst mit Glück verwerthet zu werden. München
— hier treten wir in unser Vaterland ein und unsere Aufmerksamkeit mehrt
sich — München nennt der Verfasser ein jämmerliches Gegenbild Griechen-
lands ; ein ähnliches Urtheil trifft die müncheuer Kunstschule. „ F o l tz' s Bild
„Perikles", eins der besten Werke des Meisters, würde in einer französischen
Gallerie eine erbärmliche Miene machen" (S. 132); „Genelli müßte das
Kalte, Marmorartige seiner Kompositionen von Delacroix malen lassen"; „die
Zeichnung von Kanlbach's „Rcformationsepoche" (im Carton ausgestellt)
sei hart und plump" (S. 133), „die Komposition ein kolossaler Rebus von
einem Schüler der Rhetorik in ein episches Gedicht gebracht". K. Piloty
kommt etwas besser weg; F. Adam wird, selbst neben französischen Malern
als Schlachtenmaler gerühmt. Diese Abhandlung schließt mit dem horazischen
Worte: Parturinut Monte«. Wird das Urtheil für die nun folgende Nord-
deutsche Schule günstiger lauten? Natürlich ist dem Verfasser Düsseldorf
rücksichtlich der Kunst die Hauptstadt Preußens. Knaus (übrigens kein
Düsseldorfer, sondern eher ein Berliner) findet gerechte Würdigung; Heil-
buth „könnte für einen Landsmann des Verfassers gelten". Die beiden

Brüder Achenbach werden mit fünf Zeilen abgemacht und endlich Mentzel
(Friedrich d. Gr. in der Schlacht von Hochkirch) lobend erwähnt. Die
Künstler Oesterreichs und der Schweiz werden kurz abgethan; doch bleibt
Raum genug, um der Ansicht (S. 148) Ausdruck zu geben, daß in ganz
Deutschland sich kein Landschaftsmaler finde, der es mit den Franzosen in
diesem Genre aufnehmen könnte! — Kurz wird Dänemark und Schweden
abgefertigt, Rußland nur aus ethnographischem Interesse erwähnt; die spanische
Schule hat nur insofern Gutes geleistet, als sie sich von P. Delaroche beein-
flussen ließ; Italien mache Anstrengungen, um sich von den Fesseln der
Akademie zu emancipiren; der Kirchenstaat sei gar uicht vertrete», der
Orient bringe nichts Besonderes hervor; den Künstlern Amerikas wird be-
sondere Originalität zugesprochen. Das Resumä über die außerfranzösischen
Schulen wird S. 163 in den Worten niedergelegt, in allen diesen Schulen
vermisse man den Lokalton, die Energie einer Race; die Künstler aller er-
wähnten Länder lehnen sich mehr oder weniger an die französische Schule an.

Nach diesem kurzen Jnhaltsberichte sieht man, von welchem Standpunkte
aus diese Revue augestellt wurde, und ob sie, auf die ausgestellten Werke
allein basirend, ein durchweg richtiges Urtheil fällen konnte. Wir brauchen
uns jetzt uicht zu wundern, daß der Verfasser, zu den Künstlern seines Vater-
landes übergehend, die französische Schule eingehender (S. 165—411) be-
spricht und die Werke seiner Landsleute aller Ehren werth hält. Zur besseren
Uebersicht werden die einzelnen Abtheilungen besonders geschieden: Geschichts-
malerei, religiöses, historisches Genre, militairisches Genre, Landschaft, Bilder
aus dem Orient, Zeichnungen, Aquarellen. Nur die Franzosen besitzen Histo-
rienmaler, denn die Jury hat nur Eine Medaille einem Historienmaler, und
zwar einem französischen zuerkannt!! Wir suchen nach dem gekrönten Ge-
schichtsbilde und finden: „Das verlorene Paradies" und die „Geburt der Ve-
nus" von Cabauel. Hätten da H. Bcllauge's „Die Schlacht bei Wa-
terloo" und „Napoleon in Moskau", die in die Militaria eiugereiht sind, nicht
eher zu den historischen gezählt werden sollen, da sie wahrhaft entscheidende Epi-
soden der Weltgeschichte behandeln? — Die Geuremaler unterscheidet er von
den alten holländischen, welche naiv die Wirklichkeit, wie sie selbe vor sich hatten,
auf die Leinwand übertrugen. Die jetzige Welt sei nicht mehr naiv, sagt
der Verfasser. Uns ist aber so manches gelungene Genrebild voll gesunder
Naivität (nicht zu verwechseln mit Sentimalität) bekannt, welches auch naive
Bewunderer findet; freilich ist diese Naivität nicht jene des holländischen
Mittelalters, den» auch diese Ausdrucksform hat sich civilisirt. Die Abthei-
lung I'Orient ist wohl ein Zweig der Landschaft und durch die Menge der
hieher gehörigen Bilder motivirt, sonst müßte in der Landschaft eine durchweg
geographische Eintheilung durchgesührt werden. Die junge Schule, der er im
Grunde den Geist uicht abspricht, nennt er mehr Maler (Farbenvirtuosen),
als Künstler. Auch die Zeichnungen und Aquarellen erfreuen sich eines sorg-
fältigen Berichtes. Die Skulptur, welche der Transpvrtschwierigkeiten wegen
nur spärlich vom Auslande vertreten war, bietet darum keine Gelegenheit zu
einem kompetenten Urtheile über die rivalisirenden Nationen. Der englischen
Schule wird vorgeworfen, daß sie in einem grellen Widerspruche mit den
ästhetischen Anschauungen des Festlandes stehe. Von deutsche» Künstlern wird
Drake's „Rciterstatue des preußischen Königs" lobend erwähnt. Der Verfasser
meint, jeder sei von der wunderbaren Erscheinung srappirt, daß die Kunst
des Marmors sich mit den eisigen Gefilden des Nordens nicht vertrage.
Hat der Verfasser unsere Kirchen, Museen und Schlösser besucht? Die ita-
lienischen Bildhauer werden gelobt, weil sie, die einzigen, mit den Franzosen
gleichmäßig gehen. Die letzteren ständen aber ohne Rival da. Wen wollt
ihr aus dem Norden auführen? Thorwaldsen, Rauch, Schwanthaler, wenn
ihr wollt! Doch was ist das? Ausnahmen, im warmen Gewächshause der
klassischen Tradition gewachsen! (S. 380.) Wie anders sehe es in Frank-
reich aus! Zwei Medaillen wurden nur Franzosen zuerkaunt! Der Ver-
fasser muß uns nun erlauben, daß wir über diese Preisvertheilung unsere
Privatansichten haben, denn Guillaume'L gekrönte Werke waren eine Samm-
lung von Büsten Napolcon's I. in verschiedenen Lebensaltern! —

Wir haben in der Besprechung des Werkes absichtlich unser Urtheil
zurückgehalten und bemerken nun schließlich, daß das Werk für Künstler und
Kunstfreunde, besonders solche, welche die große Ausstellung besucht haben,
mit dem größten Interesse gelesen wird, um so mehr, als eine schöne Diction
und, was bei einem Franzosen selbstverständlich, eine lebendige Darstellung den
Leser bis zum Schluffe fesselt. W—y.
 
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