Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

DOI Artikel:
Barchan, Paul: Helene Pedriat
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0018

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Helene Perdriat

HELENE
PliRDkl AT
»SELBST-
BILDNIS«

Unpersönlichkeit. Während die Männer (das-
selbe gilt für die in ihrem Schaffensprozeß ihr
verwandten Halicka, die gleichfalls mit einem
Kubisten verheiratet ist, mit Marcoussis) um
eine individuell unpersönliche Kunst mühevoll,
ringend kämpfen, treffen ihre Frauen gleichsam
mit geschlossenen Augen ihr Ziel. Kampflos
stehen sie da, sind gleich fertig. Sind, um poe-
tisch sich auszudrücken, gleich den ersten Früh-
lingsblumen, sofort erblüht. . . Der Mythos von
der unbefleckten Empfängnis gewinnt tiefere Be-
deutung, wird zum Symbol. Der Auserkorenen,
der Spenderin, hier also der Künstlerin, hat die
Göttlichkeit es in den Schoß geworfen. Sie er-
wacht und fühlt sich gebenedeit.

Ganz egozentrisch — finden sie, als wäre die
Kunst ein Spiegel (und vielleicht ist sie's auch),
ihre physische und psychische Physiognomie.
Mit derselben Leichtigkeit (es ist gar nicht so
absurd, so fern —), mit der die Frau ihren „Stil",
„ihre" Kleidung. Schminke, Haartracht erklügelt.

Gewiß, in jedem Künstler bleibt das Infantile
zeitlebens erhalten. Kluge und wissensreiche
Männer haben darüber sicherlich viel Grund-
legendes gesagt, ich weiß es wirklich nicht. Doch
wird der Kampf mit der Materie und dem Ma-
terial, das Ringen um Entwicklung und Vollen-
dung, die Forderungen der Richtung, die Angst
vor dem Gericht des Tagesurteils und der Kunst-
geschichte und eine gewisse Verkalkung zum

Bürgertum — das Kindhafte immer mehr kne-
beln, es herabdrücken, immer tiefer in den Ab-
grund des Unbewußten stoßen. So etwa, denk'
ich, bei dem Manne. Bei der Frau, die ihre
Wesensart in künstlerisches Schaffen umgesetzt
hat, blüht und gedeiht das „Infantile" weiter.
Daher die Leichtigkeit und die Freudigkeit auf
der einen Seite, auf der andern die Kampf-
losigkeit, mit der sie die Kunstübung unter-
bricht oder aufgibt, ohne dieser eine Träne
nachzuweinen. So ungefähr geben Kinder ihr
Spiel auf. Dies mag auch mit eine Ursache sein
für den Mangel an Entwicklungsfähigkeit. Die
Frau als Schaffende steht gleich so ziemlich
fertig da.

So arbeitet die Perdriat wie ein Kind darauf
los. So ist der Grundzug ihres lieblichen, hei-
tern Schaffens. Sie ist ein Schulbeispiel.

In sorgloser Unermüdlichkeit gibt sie, immer
wieder, in verliebter Eingesponnenheit (sind
die immer wiederkehrenden Netzmuster viel-
leicht ein Symbol hierfür?) das Bildnis ihres
physischen und psychischen Antlitzes. Auch
wenn sie sich gleichsam spaltet in die Blonde
und Brünette. Ja, ihre Katzen und Rehe wer-
den zum Selbstporträt. Auch die Früchte, die
sie überall anbringt — fast nirgends Blumen —
üppige, reife, zärtliche, pralle, duftende, lachen-
de, sonnengeschwängerte Früchte sind wie von
der Atmosphäre ihres Körpers eingekreist und
 
Annotationen