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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Picasso, Pablo: Ein Brief von Pablo Picasso
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Michel, Wilhelm: Der Gegenstand im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0298

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Ein Brief von Pablo Picasso

experimentiere ich. Wenn ich etwas zu sagen
habe, sage ich es so, wie ich es glaube tun zu
müssen. Es gibt keine Übergangskunst. Es gibt
nur gute oder weniger gute Künstler.

Wenn uns ein Neugieriger, ein Journalist oder
ein Kunstliebhaber besucht, erwartet er, wir
müßten von vorgefaßten Gedanken und Defi-
nitionen überströmen, die unsre Kunst erklären
oder ihr gar einen lehrhaften Wert geben; das
lehne ich ausdrücklich ab.
— Man möchte uns nicht nur als Schöpfer von

Bildern anerkennen, man möchte uns auch zu
Theoretikern u. Schlagwortfabrikanten machen.

So hat man Gedankenanthologien von Ingres,
von Delacroix gemacht. Man ist davon be-
geistert. Aber welcher Gedanke von Delacroix
ließe sich mit seinem „Sardanapal" vergleichen?

Sie erwarten von mir, daß ich Ihnen sage,
daß ich Ihnen definiere: Was ist Kunst?

Wenn ich es wüßle, würde ich es für mich
behalten.

Ich suche nicht; ich finde. — Picasso.

DER GEGENSTAND IM KUNSTWERK

WILHELM MTCHEL

Daß unsre Kunst und unser Kunstdenken
gegenwärtig eine Umbildung grundlegen-
der Art durchmachen, ist durch eine ganze
Reihe von Tatsachen erwiesen. Das zeigt sich
auch in Bezug auf die Frage der „Tendenz"
in der Kunst.

Vor einiger Zeit schrieb Alfred Kerr im An-
schluß an die Aufführung des Schauspiels „Don
Quichotte" von Lunatscharski:

„Ein Tendenzstück? ... Ja! Warum nicht?
— Gute Gedanken für ein menschliches Ethos,
auch gute Gefühle, werden hier in schlagender
Form geäußert. Alles auf Erden ist relativ.
Auch das Axiom (mehr war es nicht): daß
Kunst keine Tendenz haben dürfe. Das galt
für einen begrenzten Zeitraum. Genau wie der
Satz mir heut überlebt scheint, daß es in der
Malerei bloß auf das Wie, nicht auf das Was
ankommt. Dieser Satz ist jetzt unwahr."

Man mag sich zu den einzelnen Wendungen
dieses Bekenntnisses stellen, wie man will;
keinesfalls kann bestritten werden, daß hier ein
maßgebender Mensch von einer Katastrophe
in seinem Kunstdenken spricht und daß diese
Katastrophe nicht bloß seine persönliche An-
gelegenheit ist. Man darf sich darin nicht täu-
schen lassen durch das Wort „Tendenz", das
zunächst nur dem literarischen Bezirk angehört.
Kerr selbst hat die Erweiterung auf das Gebiet
der bildenden Kunst vorgenommen, und er hat
es mit Recht getan. Unser gesamtes Kunst-
denken hat sich im Schatten der These von der
alleinigen Wichtigkeit des „Wie" und der Un-
wichtigkeit des „Was" entwickelt; und diese
These ist im Begriff, zu stürzen. Das ist eine
Wendung; das ist ein Ereignis, das Einschnitt
gibt. Wer hätte gewagt, vor zehn Jahren von
einer „erzieherischen", wohl gar ethischen Auf-
gabe der Kunst zu sprechen? Jetzt tut dies
ein so scharf geprägter Literat vom Schlage
Alfred Kerrs ohne Bedenken. Da wird fühlbar,

daß etwas Altes, Ehrwürdiges einem Neuen
Platz gemacht hat. Die Kunstgesinnung ist im
Begriff, sich zu wandeln. Deutlicher gesprochen:
Wir erleben vor uns und in uns die Auflösung
der impressionistischen Weltanschauung, die
mit ihren Vor- und Nachläufern wenigstens ein
halbes Jahrhundert lang geherrscht hat. Die
Kunst wendet sich dem Mittel nach zur Ding-
lichkeit, der Funktion und Absicht nach zum
positiven Mitteilen, Lehren, ja zu „dogmati-
scher" Deutung und Beeinflussung.

Rückwärts blickend gewahren wir deutlich,
welches die Rolle dieser nun zu Ende gekom-
menen „impressionistischen" Kunstanschauung
war. Sie hatte uns das rein künstlerische „Wie"
wieder zu Bewußtsein zu bringen. Sie hatte,
da die Kunstbegriffe von mancherlei fremden
Beimengungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt
waren, zunächst dem „Künstlerischen an sich"
wieder auf den Grund zu gehen. Sie hatte das
Mittel der Kunst rein aufzuzeigen; sie hatte
das Handwerkszeug zu säubern, das Verfahren
schematisch zu vereinfachen, das ganze „Wie"
des Kunsterlebnisses auf seine letzte, klarste
Gestalt zurückzuführen. Deshalb ging sie vor
gegen den Begriff des „Schönen" und ersetzte
ihn durch den neutralen Begriff des „Ästheti-
schen". Deshalb erklärte sie alles Gegenständ-
liche als bedeutungslos und hielt sich lediglich
an den künstlerischen Akt, an die künstlerische
Prozedur. Sie stellte die Kunst wieder auf das
rein Sinnliche oder auf den reinen Ausdruck
und gelangte so zu einer Klärung der Kunst-
begriffe, die dem ganzen Kulturkreis der mo-
dernen Welt ohne Zweifel zu einer großen För-
derung geworden ist. Diese Klärung der Kunst-
begriffe drückt Wilhelm Trübner aus mit dem
Satz: „Es handelt sich in der Kunst nicht um das,
was man darstellt, sondern allein um das, wie
man es darstellt, und die Schönheit muß in
der Malerei selbst liegen, nicht im Gegenstand".
 
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