Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

DOI Artikel:
Schürer, Oskar: Über die Zeitgemässheit in der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0032

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ÜBER DIE ZEITGEMÄSSHEIT IN DER KUNST

VON DK. OSKAR SCHÜRER

Zu den dringlichsten AufgabenheutigerKunst-
kritik gehört es, die allerorten in Fülle auf-
schießenden Schlagworte auf ihren gesunden
Kern hin zu prüfen. Mit andern Worten: durch
ernste Besinnung das wieder gut zu machen,
was sie in oft übereilter Geschäftigkeit sündigt.
Denn das Autbringen von Schlagworten — wenn
auch nicht immer ihre völlige Vermanschung —
ist doch wohl auf ihr Konto zu buchen. Nehmen
wir heute jenes von der „Zeitgemäßheit" der
Kunst vor. Gültige Kunst von heute muß zeit-
gemäß sein, d. h. sie muß aus unserm heutigen
Leben heraus empfunden sein. Schön! Und
nun baut man, und malt man und dichtet man,
und musiziert man — immer tüchtig auf die
Zeitgemäßheit los, will sagen: möglichst anders
als früher. Und da lauert schon die Gefahr.
Kriterium nämlich ist die Mitzeit. Der aber steht
man meist etwas allzu nahe. Sodaß man nicht
recht unterscheiden kann, ob man auch den Kern
der Mitzeit im Auge hat, oder nur so ein paar
besonders in die Augen springende Grenz- und
Randerscheinungen. Am Rande plätschert das
Wasser ja immer am lautesten. Diese Art von
Zeitgemäßheit bekommt dann den üblen Beige-
schmack, den ihr diejenigen zulegen, die in ihr
nicht gerade das höchste Kriterium der Kunst
erblicken. Und man denkt an Nietzsche, der
im Bewußtsein dieses Beigeschmacks seine
Betrachtungen „unzeitgemäße" nannte. Dieses
„zeitgemäß" ist dann die Parallelbezeichnung zu
jenem „modern", in dem die Assoziation an Mode
unweigerlich mitschwingt. Also nur Caprice,
Laune oder was sonst. Nicht der tiefe Ernst
des Schaffenden, der doch erst jede Leistung
legitimiert. Sobald der Begriff „Zeitgemäßheit"
an diese Grenze gelangt ist, hebt er seine Be-
deutung für die Kunst selbst auf und begibt
sich in Gefolgschaft der Modenmagazine. Wo-
bei seine anspruchsvolle Geste höchstens die
Preise, nicht aber die Wertung beeinflussen wird.

Ihm gegenüber hat sich ein tieferer Begriff
von „Zeitgemäßheit" heute herausgearbeitet.
Vor ihm hat auch die Abwehrstellung von „un-
zeitgemäß" nur mehr eine sehr relative Gültig-
keit. Nietzsche sagte sich in ihr von seiner Zeit
los, ihr ewige Werte entgegensetzend. Jener

tiefere Begriff von „Zeitgemäßheit" faßt diese
ewigen Werte in sich, als ein Begreifen der sich
zum Ewigen hinringenden Zeitlichkeit. (Richard
Hamann hat z.B. gerade den Begriff Zeitgemäß-
heit für die „Gründerzeit" so spannungsreich
herausgearbeitet, daß ihre Pole auch Nietzsche,
gerade ihn, in sich fassen. Auch er Kind seiner
Zeit!) Man muß nachlesen, wie ernst Franz
Marc um die Zeilgemäßheit seiner Kunst ringt.
(In seinen Kriegsbriefen, Berlin 1920.) Das ist
weltenweit entfernt von aller Modensucht. Es
ist eingegeben von dem strengen Wissen, daß
nur heutiges Empfinden wahre h e u t i g e Kunst-
werke schafft. Daß diesem heutigen Empfin-
den auch eine heutige Form entsprechen muß,
die fähig ist, das ganz Besondere unseres
Fühlens aufzunehmen, zu gültigem Werk zu ge-
stalten. In solchem Ringen erst rechtferligt
sich dieser Begriff und hier erst tut er seine
ganzen Tiefen auf.

Zeitgemäßheit in diesem Sinn ist die Selbst-
aufdeutung einer Zeit. In jeder ihrer Äuße-
rungen ist sie ihr verpflichtet. Für die Form
am maßgebendsten in der Kunst. Eine Kunst,
die sich genügt, in altverbürgten Formen zu
wirtschaften, bestenfalls dahinein neue Gehalte
zu gießen, belügt sich und ihre Genießer um
ihren vollen Ernst. Denn was ist „Inhalt" was
„Form" in der Kunst! Lüge — oder aber plumpe
Täuschung ist es, anzunehmen, unser heutiges
Leben mit seinem vielverschlungenen Geistes-
und Wirtschaftsnetz könne sich ausdrücken in
Formen, die für ein früheres Jahrhundert geprägt
wurden. Was 1890 Wahrheit war, ist heute
Lüge. Das heißt nicht, daß ein Manet heule
tot wäre. Es heißt aber, daß ein bequemer
Nachpinsler Manetscher Lichteffekte sich her-
umdrückt um den Zwang seines eigenen Tags,
der ihn neue Weltkonstellationen zur künst-
lerischen Verarbeitung anbietet, neue Lösungen
der ewigen Rätsel von ihm fordert. Denn darum
handelt es sich: um den Aspekt des Ewigen
vom heutigen Tag aus. Nicht Tageskunst, son-
dern wahre Kunst. Die aber gedeiht nur, wenn
sie sich aus den lebendigen Quellen speist, die
Stoffe ihres Lebens aufnimmt zur Durchdring-
ung, ihre Zeit dem Ewigen entgegendeutet.

*
 
Annotationen