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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Michel, Wilhelm: Das Ich im Kunstschaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0148

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DAS ICH IM KUNSTSCHAFFEN

Sobald man die Welt der Kunst betritt, wird
man die große Wichtigkeit des Ichs gewahr.
Was wäre der Künstler ohne die ständige Pflege,
Beachtung, Behorchung seines Ich? Was wäre
er ohne das Zutrauen, daß die Gaben und Er-
lebnisse seines Ich wichtig sind, nicht nur für ihn
selber, sondern für alle, daß sie etwas Großes
und Allgemeines bedeuten? S e in persönliches
Empfinden stellt er getrost hinaus. Seine Art,
zu sehen, macht er im Kunstwerk ohne weiteres
zum Gesetz für andere. Er schließt alles aus,
was er nicht in seinem Ich lebendig erfährt; er,
der zu allen spricht, geht so persönlich, so sub-
jektiv als möglich vor. Daher auch die Subjek-
tivität, die viele Künstler in allen Dingen zeigen.

Zugleich aber erfährt der Künstler, daß das
Ich nur insoferne etwas ist, als es mit dem All-
gemeinsten in Zusammenhang steht. Er erfährt,
daß es sich nie um das bewußte, kalte, besondere
Ich handeln kann, sondern um das eingereihte,
eingefügte, mit dem All in lebendigem Wechsel-
verhältnis stehende Ich. Der Künstler, so hoch
er seine Individualität schätzen muß, weiß zu-

gleich, wie wertvoll es ist, das Ich vergessen zu
können; denn nur, wo wir das Ich vergessen,
werden die fruchtbaren Ichkräfte wahrhaft frei.
Wahrhaft individuell ist der Mensch nur dann,
wenn die Individualität nicht durch unrichtigen
Einsatz des Bewußtseins gestört wird. Die
chinesische Legende vom Holzschnitzer Khing
spricht dies sehr schön aus. Sie läßt den Künstler
sich für seine Arbeit vorbereiten dadurch, daß
er „seinen Geist zur unbedingten Ruhe" bringt.
Das geschieht dadurch, daß er zunächst allen
Lohn, den die Arbeit ihm bringen könnte, ver-
gißt, dann allen voraussichtlichen Ruhm, dann
sogar seine Glieder und seine Gestalt. Da erst
hat er „seine Kunst gesammelt" und zum Höch-
sten fähig gemacht; er hat sein Ich durch das
„Vergessen" nicht beseitigt, sondern zur höch-
sten Steigerung gebracht. Kunst ist ein Spre-
chen des Ichs aus dem Zusammenhang.
Oder, wie es ein neuerer Kunstforscher aus-
drückte, Kunstschaffen ist ein Ausführen gött-
licher Befehle — selbst wenn das Werk nur
die irdischsten Dinge vor Augen stellt. . . w. m.

»Hl.MIXI ; WERKSTATT FÜR KUNSTGEWERBE—WIEN. »LEUCHTER«
 
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