Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

DOI Artikel:
Geron, Heinrich: Bauform und Charakter: (Zweckform und repräsentatives Gepräge in der Architektur)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0268

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BAUFORM UND CHARAKTER

(ZWECKFORM UND REPRÄSENTATIVES GEPRÄGE IN DER ARCHITEKTUR)

Bei allen architektonischen Aufgaben ist es
von grundlegender Wichtigkeit, daß in der
formalen Lösung gleichzeitig mit den Ansprü-
chen der zwecklich-funktionellen Sachlichkeit
des Baus die Forderungen nach einem dem
Sinn und der Bedeutung der Anlage entspre-
chenden Gepräge erfüllt werden. Fast jeder
Bau muß etwas an Gesicht, einen gewissen
Artcharakter haben, und das heißt für den
schöpferischen Architekten, daß neben den rein
utilitarischen Momenten des Vorwurfs das
Moment der repräsentativen Idee des Gebäudes
maßgebend und entscheidend wird. Die Bau-
aufgabe für eine Kirche zum Beispiel ist noch
nicht gelöst, wenn eine Halle, die ein paar Hun-
dert Menschen zu fassen imstande ist, konstruiert
wird; sondern erst dann, wenn der Bau der
geistigen Idee Kirche entspricht, das heißt die
feierliche und erhebende Würde und den un-
bedingten Ernst eines Bethauses, die verpflich-
tende gottesdienstliche Haltung einer religiösen
Weihestätte zur Schau trägt. Wie gewaltig
überwiegend der ideologische Anlaß der Re-
präsentation über den rein sachlichen Vorwurf
werden kann, lehrt ein ganz einzigartiger Fall
aus der Geschichte der Monumentalarchitektur;

die Pyramide in Altägypten. Die reine Zweck-
bestimmung, Grabgruft für einen Sterblichen zu
bauen, wurde hier durch den dynastischen und
priesterlichen Rang eben dieses Sterblichen im
Rahmen der Kultur und ihrer bestimmten Vor-
stellungswelten so ins Kolossale gesteigert,
daß ein gültiges Denkmal des Weltgeists und
ein deutbarer Ausdruck des Unsterblichkeits-
glaubens der alten Ägypter notwendig geschaf-
fen werden mußte.

Einem Bau die ihm gebührende Note und
sachliche Würde geben, ist durchaus nicht immer
leicht, da die Vielfältigkeit der Aufgaben und
Anlässe zu oft sehr feinen Unterschieden zwingt.
Die tägliche Erfahrung belegt dies auf Schritt
und Tritt. Es ist durchaus nicht immer möglich
vor einem größeren, vielfenstrigen Gebäude zu
sagen, ob man eine Schule, eine Kaserne oder
einen Bürobau vor sich hat, und ebenso ist für
den Baumeister nicht einfache Sache der zweck-
dienlichen Lösung, ob er einen gültigen Typus
Bahnhof oder Bankgebäude, Warenhaus oder
Postamt, Palais od. Ständehaus, Hallenschwimm-
bad oder Trambahnhalle prägen kann. Gewiß,
es gibt eine beschränkte Anzahl architektoni-
scher Aufgaben, die von jedem repräsentativen

254
 
Annotationen