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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Geron, Heinrich: Vom Wert und Wesen des Handwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0212

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VOM WERT UND WESEN DES HANDWERKS

Es wird erzählt, daß im alten Hellas ein
goldgelockter Gott über die blühende
Erde ging und dem wißbegierigen, tatenlustigen
Menschen das Savoir-Faire der Künste, das
Handwerk, beibrachte. Da der Mensch dazu-
mal an Drang und Gnade reich, ja überreich war,
konnte nun der Idealzustand beginnen, in dem
der Könner von selbst Künstler, der Macher
von selbst Schöpfer war, in dem der Steinmetz
ohne weiteres Bildhauerarbeit leistete. Die
Kunsttätigkeit trat hiermit aus der Unschuld
heraus, sie hörte auf naiv zu sein und ergab
sich der bewußten Intelligenz einheitlicher Ord-
nungen, sachlich-funktioneller Regelungen, mit-
teilbarer Zunftgeheimnisse. Die Freude am
Können und Wissen war harmlos, für das Ge-
deihen der Künste überall und überaus fördernd;
die Habilitäten selber waren reichlich primitiv,
und dazu stets einem unbekannten Übergeord-
neten, dem Geist, gehorsam. Selbst der huld-
reiche Gott hätte es sich damals nicht träumen
lassen, daß man einmal in der Kunst die Habi-
litäten überschätzen könne, derart, daß diese
Überschätzung eine Gefahr für inneren Trieb-
wert des Schaffens und für die legitimen, divi-
natorischen, substanzhaftenRänge des Schöpfer-
tums bedeuten würde.

Der Handwerksgeist, die freien Fähigkeiten
und Fertigkeiten, sind in der Kunstentwicklung
zu vielen Malen weit überschätzt worden; ge-
rade daher kommt es wohl, daß unsere Zeit
hier dem Rationalismus und der „Mache" in-
stinktmäßig sehr mißtraut, und sich lieber an
die mit Vernunftgesetzen nicht zu prüfenden
Qualitäten, das Elementare, die Einfühlung und
den Gehalt hält. Gerade wir definitionsfeind-
lichen, ins Irrationale verliebten Deutschen, die
wir überall die Gefahr des Formulismus und
der Dogmatik wittern, gehen in dieser Neigung
weiter als andere Völker. Und gerade wir
hätten es deshalb nötig, uns immer vor Augen zu
halten, daß dasHandwerknichtunterschätztwer-
den darf, weil es ganz und gar unentbehrlich ist,
und daß bei einem gesunden, wohlausgeglichenen
Verhalt der Kunstgesinnung das Handwerk so-
gar nicht genug geschätzt werden sollte. Das
Kunstschaffen ist unstreitig im höchsten Maße
metaphysisch bestimmt; ein dunkler unerklär-

licher Impuls trägt die Tat vor, die Schöpfung
wird aus einem erlauchten, überbewußten
Wissen erfüllt; nun ist die dritte der aktiven
Kräfte, der Handwerksgeist not um das herauf-
gedrängte gehaltbeladene Wesen des Kunst-
werks im Reiche des Sinnfälligen und Allver-
ständlichen darstellen, im Gegebenen zu ver-
körpern, mit soliden Mitteln zu erwirken.
• « <

Außer den geistigen Voraussetzungen für
das Schöpfertum braucht ein Künstler nichts als
Handwerk, das heißt Kenntnis rationeller, geist-
diktierter Normen für das Handeln und Ver-
fahren, Sachklugheit mit dem Bildstoff, Technik
der Mittel und Weisheit ihrer Wirkungen, schal-
tendes und waltendes Wissen von den darzu-
stellenden Dingen, und außerdem sehr viel Kri-
tik, um unter den Möglichkeiten wählen und
das Unwesentliche verwerfen zu können. Wun-
derkinder, die mit diesem Können begabt auf
die Welt kommen, sind Hundertjahrsblumen;
die Zahl der Meister, bei denen die Schau so
groß wäre, daß sie beim Arbeiten der ver-
nünftigen Einsicht entbehren und sich völlig
wie Nachtwandler leiten lassen können, beläuft
sich sicher nicht hoch. Handwerk wird also
von Haus erlernt, in der Übung und mit Fleiß
erworben, in ständiger Erfahrung gesammelt.
Das Sprüchwort sagt, daß noch kein Meister
vom Himmel gefallen ist; die volkstümliche Weis-
heit gibt also zu, daß könnerischer Rang erwerb-
bar ist und ermahnt und ermuntert zu Schulung
und Tüchtigkeit. Ja, sie fordert sogar Hal-
tung. Unzweifelhaft, der altkluge Weltsinn
dieses Wortes vermutet die Meisterschaft nicht
in manueller Routine und trügerischer Ge-
rissenheit, sondern in solidem Können und
gediegener Gesinnung. Haltung ist der Adel
des Handwerks; man soll nicht nach leerer
Gewandtheit und Wendigkeit streben, sondern
nach echter Tugend, nach wahrer Virtuosität.
Der Grundsatz allen guten Handwerks ist die
Ehrlichkeit, die Tendenz zum legitimen, ver-
antwortungshaften Tun, der Wille zur Qualität.
In der Schule der Ehrlichkeit sollten wir immer
Lehrlinge, aufmerksame, zurSelbstprüfung jeder-
zeitbereite Arbeiter bleiben; dann werden wir als
Könner immer Künstler sein. . . Heinrich geron.

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