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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Schiebelhuth, Hans: Das Tendenziöse in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0232

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DAS TENDENZIÖSE IN DER KUNST

VON HANS SCHIEBELHUTH

Es gibt'eine recht verbreitete Art des Kunst-
erfassens, die sich an Inhalte klammert.
Man kann nicht sagen, daß sie falsch, aber man
muß gestehen, daß sie unzulänglich ist. Wer
nichts als Inhalte braucht, kann bequem ohne
die Kunst auskommen, die Photographie wird
ihm die Malerei, allerlei Fachlektüre die Litera-
tur ersetzen können. Die Stoffgebundenheit
der Kunstübung ist alt; jener Maler, der Trau-
ben so stofflich malte, daß sich selbst die Vögel
des Himmels irrten, war der Stolz seiner Vater-
stadt Athen. Die Reaktion gegen die materiali-
stische Auffassung ist jung, und was noch mehr
ist — belanglos. Es hilft nichts, Farbflecke an-
statt Gegenstände zu malen. Die Kunst kommt
ohne Inhalte nicht aus.

Mit dem Problem des Inhaltlichen ist aufs
engste das des Tendenziösen verknüpft. Unter
Tendenzen sind wohl durchgehend gesinnungs-
hafte Elemente der Auffassung, des Ausdrucks
und der allgemeinen Absicht zu verstehen. Die
landläufige, alteingebürgerte Ansicht geht da-
hin, daß Tendenzkunst jene Kunst sei, die mit
außerkünstlerischen Absichten auftritt. Da-
gegen läßt sich behaupten, daß Kunst von Haus
aus die „außerkünstlerische" Absicht hat, dem
Leben zu dienen. Die Situation ist unklar,
es wird not, die Begriffe zu sichten.

Was ist künstlerische Absicht? Die Kunst.
Was ist Kunst? Ganz allgemein gesagt: eine
Ausdrucksform von Leben. Was kann also
außerkünstlerische Absicht sein, wenn der
Organismus der Kunst sich zu dem des Lebens
verhält wie Anlaß zu Ausdruck? Nichts. Vom
Standpunkt der Kunst aus gibt es keine außer-
künstlerischen Absichten, oder anders gesagt,
jede Absicht kann künstlerische werden.

Absichten zu haben ist Sache der Gesinnung.
Es drängt sich die Frage auf, ob alle Kunst not-
wendig Gesinnungsausdruck, Bekenntnis, Zeug-
nis ist. Zweifellos ja, auch wenn dieser Um-
stand oft nicht bewußt wird. Kein Wesen, kein
einziges Gebilde im Kosmos ist des Sinnes bar.
Das Dasein ist ein logischer Verhalt, im Welt-
plan ist nichts sinnlos oder unsinnig. Der Sinn
eines Kunstwerks ist so unbedingt existent wie
der eines Baums oder eines Sterns.

Es ist eine menschlich vernünftige, bewußte
Zweckmäßigkeit in allen Dingen; es ist gleich-
falls auch etwas göttlichvernünftiges, überbe-
wußtes Sinnvolles da. Es steht ein Baum auf
dem Felde. Er liefert dem Vogel Schlupf, den

Feldarbeitern Schatten, er liefert Früchte, Laub-
streu, Holz, . . kurz, er ist als Dasein vielfältig
mit einem begreiflichem Sinn des Lebens um-
strickt. Es hindert uns nichts, diesen begreif-
lichen Sinn göttlich zu interpretieren, aber wir
sind in nichts versichert, daß dieser Sinn dem
Unfaßbaren gleichkomme, daß er die Antwort
auf das ewige Warum enthält. Der göttliche
absolute Sinn eines Baumes ist, daß er ein
Baum ist, weiter nichts; wir Menschen dürfen
uns nicht daran kränken, daß wir von diesem
Baumsein nur die geschöpfliche Nutznießlich-
keit (und auch von der wohl nur den kleineren
Anteil) erfassen. Es ist mit Kunstwerken nicht
anders als mit dem Baum. Ihre utilitarischen
Werte, — als da sind als Darstellung von In-
halten, Ausdruck von essentieller und substan-
zieller Geistigkeit, Erreger von Freude und
anderen Gefühlsbewegungen, Träger von Im-
pulsen und Beglücker durch elementare und
formale Vorhandenheiten, — sind uns das faß-
bare Zeichen ihres höheren Sinnes.

In einem engeren Sinne tendenziös kann man
alle Kunst nennen, die irgend eine utilitarische
Absicht verfolgt. Sie tut dies am Inhalte oder
im Inhalte, ja oft durch den Inhalt selber dar.
Diese tendenziöse Kunst ist durch ihre Beson-
derheit nicht wertvoller als eine Kunst, die die-
ser bewußten utilitarischen Tendenz entbehrt.
Im Gegenteil, es ist oft zu bemerken, daß offene
vordergründige Erklärungen der tiefen und
geheimen Klarheit des Lebens im Kunstwerk
schaden können. Die Akzentuierung der Ten-
denz scheint eine Gefahr in sich zu haben; man
muß sehen, daß versifizierte Weltanschauung
an sich noch nicht Dichtung, ein graphisches
Manifest an sich noch nicht Zeichnung ist. Aber
dem muß nicht unbedingt so sein. Man kann
sagen, daß die Kunst selbst in Hellas nicht so
frei war, als sie heute ist. Es hat ganze Läufte
gegeben, wo die Kunst oder einzelne Künste
im Dienste der religiösen Idee standen, z. B. die
bildenden Künste des Mittelalters bis zur Re-
naissance, oder im Dienste des Staates, z. B.
die klassische Dramatik der Franzosen, oder
im Dienste beider, z. B. alle Kunstübungen in
Altägypten, — und kein Mensch kann behaup-
ten, daß dies der Kunst zum Nachteil geraten
sei. Wichtig ist zu wissen, daß im göttlichen
Sinn des Lebens alle Kunst, ob bewußt oder
unbewußt, tendenziös ist, also der Erregung,
der Förderung der Freude des Menschen dient.
 
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