Gespräch mit einem Ernüchterten
Der Künstler: „Salomo aber war im Besitz
von tausend Weibern und schrieb dann das
Buch, dessen Leitsatz heißt: Alles ist eitel. Don
Juan wurde von Grabbe neben Faust gestellt
als einer, der faustisch friedlos durch eine Un-
zahl „gefundener" Objekte geht. Augustinus
war reich und bei Gott kein „Verdränger", son-
dern lebte ein Leben üppiger Erfüllungen, ehe
er zur Umkehr fand. Und die Griechen, denen
ein unvergeßlicher Tag blühte, ein Tag voll
greifbarer Gegenwart und Erdenfreude, sie
kannten das, was in den Tod reißt als in die
tiefste aller Erfüllungen, und sie bauten Altäre,
die dem „unbekannten Gotte" geweiht waren.
Wir haben das doch alles schon gehabt, mein
Lieber. Wir haben „Erfüllungen" ohne Maß
und Ziel gehabt und sind darüber hinausge-
wachsen. Wir waren Tiere! Wir waren Äffen!
Wir haben allen Besitz besessen, den man be-
sitzen kann! Und doch kam ein Tag, an dem
uns der Vorvater aller Ernüchterten nur locken
konnte mit dem Versprechen: Ihr werdet sein
wie Gott und werdet wissen, was gut und böse
ist. Das, mein Freund, haben Sie vergessen.
Nur deshalb stellen Sie sich die Erlösung so
leicht vor. Deshalb glauben Sie, der Sehnsucht
des Menschen so leicht den Mund stopfen zu
können mit einem Bissen „endlichen Objekts".
Nein, die Religion spricht dasselbe Wort wie
die Kunst: Ewig wird die irdische Erfüllung
mangeln dem, was unsres Herzens tiefstes Ver-
langen ausmacht. Sie wissen, daß der homo
Mousteriensis oder vielmehr ein Künstler aus
seiner Rasse die Umrisse eines Bisons auf glatte
Tafeln ritzte und damit die Kunst begann. Sie,
mein Lieber, sagen, und alle Ernüchterten sagen
es nach: Er hätte auf die Jagd gehen sollen,
der Träge, und den Bison erbeuten sollen mit
Keule oder Speer; er war zu feige dazu oder
zu faul oder zu schwach. Ich aber sage: Nein!
Dieser Mensch der Vorwelt hat gefühlt, daß er
und sein Geschlecht auf der Jagd nach einem
Uferlosen, Über-Irdischen, Unendlichen sind,
und die erste Ahnung von diesem Sachverhalt
hat er nachdenklich auf die glatte Tafel geritzt,
während die andern dem wirklichen Bison nach-
stellten und ihn schließlich auf belaubten Stan-
gen, das Gehörn die Erde pflügend, nach Hause
brachten. Da standen sie vor seinem Bild,
schlugen sich die Schenkel vor Freude und be-
lohnten ihn mit einem fetten Lendenstück. Denn
damals gab es noch keine Krisis der Künste
wie heute, mein Lieber, sondern es begann erst
die lange, schmerzhafte, menschenbildendeKrisis
der Wirklichkeit.".......wilhelm michel.
*
Die beiden vorstehend abgebildeten Pokal-
Modelle sind Entwürfe für Sportpreise in
Silber bezw. Keramik. Im Wettbewerb des
Kultusministers erhielten sie den 1. u. 5. Preis.
RICHARD-G1XORI—MAILAND. »FAYEXCE- VASE«
Der Künstler: „Salomo aber war im Besitz
von tausend Weibern und schrieb dann das
Buch, dessen Leitsatz heißt: Alles ist eitel. Don
Juan wurde von Grabbe neben Faust gestellt
als einer, der faustisch friedlos durch eine Un-
zahl „gefundener" Objekte geht. Augustinus
war reich und bei Gott kein „Verdränger", son-
dern lebte ein Leben üppiger Erfüllungen, ehe
er zur Umkehr fand. Und die Griechen, denen
ein unvergeßlicher Tag blühte, ein Tag voll
greifbarer Gegenwart und Erdenfreude, sie
kannten das, was in den Tod reißt als in die
tiefste aller Erfüllungen, und sie bauten Altäre,
die dem „unbekannten Gotte" geweiht waren.
Wir haben das doch alles schon gehabt, mein
Lieber. Wir haben „Erfüllungen" ohne Maß
und Ziel gehabt und sind darüber hinausge-
wachsen. Wir waren Tiere! Wir waren Äffen!
Wir haben allen Besitz besessen, den man be-
sitzen kann! Und doch kam ein Tag, an dem
uns der Vorvater aller Ernüchterten nur locken
konnte mit dem Versprechen: Ihr werdet sein
wie Gott und werdet wissen, was gut und böse
ist. Das, mein Freund, haben Sie vergessen.
Nur deshalb stellen Sie sich die Erlösung so
leicht vor. Deshalb glauben Sie, der Sehnsucht
des Menschen so leicht den Mund stopfen zu
können mit einem Bissen „endlichen Objekts".
Nein, die Religion spricht dasselbe Wort wie
die Kunst: Ewig wird die irdische Erfüllung
mangeln dem, was unsres Herzens tiefstes Ver-
langen ausmacht. Sie wissen, daß der homo
Mousteriensis oder vielmehr ein Künstler aus
seiner Rasse die Umrisse eines Bisons auf glatte
Tafeln ritzte und damit die Kunst begann. Sie,
mein Lieber, sagen, und alle Ernüchterten sagen
es nach: Er hätte auf die Jagd gehen sollen,
der Träge, und den Bison erbeuten sollen mit
Keule oder Speer; er war zu feige dazu oder
zu faul oder zu schwach. Ich aber sage: Nein!
Dieser Mensch der Vorwelt hat gefühlt, daß er
und sein Geschlecht auf der Jagd nach einem
Uferlosen, Über-Irdischen, Unendlichen sind,
und die erste Ahnung von diesem Sachverhalt
hat er nachdenklich auf die glatte Tafel geritzt,
während die andern dem wirklichen Bison nach-
stellten und ihn schließlich auf belaubten Stan-
gen, das Gehörn die Erde pflügend, nach Hause
brachten. Da standen sie vor seinem Bild,
schlugen sich die Schenkel vor Freude und be-
lohnten ihn mit einem fetten Lendenstück. Denn
damals gab es noch keine Krisis der Künste
wie heute, mein Lieber, sondern es begann erst
die lange, schmerzhafte, menschenbildendeKrisis
der Wirklichkeit.".......wilhelm michel.
*
Die beiden vorstehend abgebildeten Pokal-
Modelle sind Entwürfe für Sportpreise in
Silber bezw. Keramik. Im Wettbewerb des
Kultusministers erhielten sie den 1. u. 5. Preis.
RICHARD-G1XORI—MAILAND. »FAYEXCE- VASE«