ZU DEN ARBEITEN VON LADISLAV BENES
Innerhalb unseres Kunstkreises gibt es zwei
Höhepunkte der Bildhauerei: die Antike und
das Mittelalter. Man wird demütig, wenn man
ihre Leistungen betrachtet. Und man lernt das
Wesen der Bildhauerei verstehen, wenn man
ihre Verschiedenheiten gegeneinanderhält. Wie
zwei Pole muten sie an in der Gegenüberstell-
ung. Aber am meisten vom Wesen dieser Kunst
lernt man doch, wenn man hinunterdringt zu
dem Gemeinsamen in den beiden. . Es klingt
recht äußerlich, wenn man es zunächst so plump
formuliert: beide Epochen kennen den Namen
der einzelnen Bildhauer kaum. Beiden gilt er
als Handwerker, als Mann des Könnens und
erst unser heutiger Namensdurst schürft müh-
sam aus Quellen einzelne Namen, die nun, ab-
strakt und fremd, der lebendigen Physiognomie,
die aus den Werken spricht, übergestülpt werden.
In dieser Anonymität verrät sich — wie ge-
sagt — viel von dem Wesen dieser Kunst.
Bleiben wir noch beim Historischen. Hinter ihr
taucht nämlich die Arbeitsweise auf. Denken
wir ans Mittelalter: Da schufen so ein Dutzend
Steinmetzen — manchmal waren es auch viel-
male so viele — am Dombau. Sie behieben die
Steine, schlugen die Ornamentik hinein, ver-
stiegen sich manchmal gar zu einem Kopf, zu
einer Szene am Kapitell. Sie wurzelten aber
doch immer in der handwerklichen Übung der
primitiven Steinmetzenarbeit und wahrten sich
in ihr eine schöne Verbundenheit mit den Grund-
erfordernissen des Baus. Nun darf man dies
allerdings nicht so ganz ohne Unterscheidung
nehmen. Der Schöpfer der Naumburger Stifter-
figuren wird nicht gleichzeitig die Steine für
den Unterbau zugehauen haben. Eine Rang-
ordnung der künstlerischen Werte muß sich
auch in der Zunft schon ausgebildet haben.
Wenn auch nichts darüber feststeht, so viel
wissen wir doch aus den Überlieferungen des
Bauhüttenwesens und aus den Fundbeständen
jener Zeit, daß die moderne Einstellung des
„Nur-Künstlers" damals nicht existierte; oder
umgekehrt: daß auch der reifste Künstler aus
dem Handwerk hervorwuchs und diese Rück-
verbindung nie ganz verlor. (Fortsetzung s. 236)
»XIX. Juli 192«. 3
227
Innerhalb unseres Kunstkreises gibt es zwei
Höhepunkte der Bildhauerei: die Antike und
das Mittelalter. Man wird demütig, wenn man
ihre Leistungen betrachtet. Und man lernt das
Wesen der Bildhauerei verstehen, wenn man
ihre Verschiedenheiten gegeneinanderhält. Wie
zwei Pole muten sie an in der Gegenüberstell-
ung. Aber am meisten vom Wesen dieser Kunst
lernt man doch, wenn man hinunterdringt zu
dem Gemeinsamen in den beiden. . Es klingt
recht äußerlich, wenn man es zunächst so plump
formuliert: beide Epochen kennen den Namen
der einzelnen Bildhauer kaum. Beiden gilt er
als Handwerker, als Mann des Könnens und
erst unser heutiger Namensdurst schürft müh-
sam aus Quellen einzelne Namen, die nun, ab-
strakt und fremd, der lebendigen Physiognomie,
die aus den Werken spricht, übergestülpt werden.
In dieser Anonymität verrät sich — wie ge-
sagt — viel von dem Wesen dieser Kunst.
Bleiben wir noch beim Historischen. Hinter ihr
taucht nämlich die Arbeitsweise auf. Denken
wir ans Mittelalter: Da schufen so ein Dutzend
Steinmetzen — manchmal waren es auch viel-
male so viele — am Dombau. Sie behieben die
Steine, schlugen die Ornamentik hinein, ver-
stiegen sich manchmal gar zu einem Kopf, zu
einer Szene am Kapitell. Sie wurzelten aber
doch immer in der handwerklichen Übung der
primitiven Steinmetzenarbeit und wahrten sich
in ihr eine schöne Verbundenheit mit den Grund-
erfordernissen des Baus. Nun darf man dies
allerdings nicht so ganz ohne Unterscheidung
nehmen. Der Schöpfer der Naumburger Stifter-
figuren wird nicht gleichzeitig die Steine für
den Unterbau zugehauen haben. Eine Rang-
ordnung der künstlerischen Werte muß sich
auch in der Zunft schon ausgebildet haben.
Wenn auch nichts darüber feststeht, so viel
wissen wir doch aus den Überlieferungen des
Bauhüttenwesens und aus den Fundbeständen
jener Zeit, daß die moderne Einstellung des
„Nur-Künstlers" damals nicht existierte; oder
umgekehrt: daß auch der reifste Künstler aus
dem Handwerk hervorwuchs und diese Rück-
verbindung nie ganz verlor. (Fortsetzung s. 236)
»XIX. Juli 192«. 3
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