Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

DOI article:
Geron, Heinrich: Bauform und Charakter: (Zweckform und repräsentatives Gepräge in der Architektur)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0270

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Baicforui und Charakter

Charakter frei sind, deren Typus sich ohne
weiteres aus ihrem Wesen als Nutz- und Zweck-
bau ergibt, zum Beispiel Fabriken und Lager-
häuser, aber außerhalb dieser sehr engen Aus-
scheidung scheint alles Bauen von der Gültig-
keit und Bedeutung der Sache her Charakter
zu beanspruchen. Das fängt in kleinem Maß-
stabe schon bei der Wohnarchitektur an. Ein
Wohnhaus, eine Stadtvilla, ein Landhaus sollte
der Persönlichkeit, dem Stand, dem gesellschaft-
lichen Geltungsbedürfnis und sogar beiläufig
dem privaten Auftreten des Bauherrn und seiner
Familie Rechnung tragen, in moderner Weise
so, wie dies in einigen unserer mittelalterlichen
Städte vorbildlich geleistet ist im Gepräge von
Patrizierhäusern, die geradezu Anschauungs-
unterricht erteilen über den Rang der einzelnen
Familie innerhalb der führenden Kaste, über
das Geltungs- und Machtverhältnis des Patri-
ziats gegenüber den Bürgerständen, und über
das weltliche Vermögen und Ansehen der Stadt
vor anderen Städten. Bei öffentlichen Bauten
wird die Forderung nach Charakter unbedingt.
Sie ist von jeher für den schöpferischen Archi-
tekten eine brennende Werkstattsfrage gewesen,
und wird es heute um so mehr sein, weil der
Baukünstler in seiner Lösung nicht mehr die
unabschätzbare Hilfe einer in sich abgegrenz-
ten Stilepoche oder eines einheitlichen Zeitge-

schmacks hat. Ein Staatstheater soll ein Musen-
tempel sein, es muß als Bau eine unverbind-
liche, freie, festliche Haltung haben, etwas
Heiteres und Beschwingendes im Gepräge, —
denn andernfalls könnte man ja in einer Ver-
sammlungshalle Theater spielen. Ein Rathaus
muß Ausdruck städtischer Selbstachtung, Zeuge
der ideellen Stadtmächte, Vornehmheit und
Würde sein, — denn sonst könnte man ja die
Amtsstuben in Mielshäusern unterbringen.

Es ist einleuchtend, daß Gepräge nicht mit
Gepränge verwechselt werden darf, daß sich
Charakter nicht durch äußerliche Anbringungen
und Zierat bestimmen läßt. Während die
Forderung nach typisierendem und charakte-
risierendem Baugepräge anzeigt, daß ein Archi-
tekt nicht nur Baukonstrukteur sondern vor
allem Baukünstler sein muß, liegt in der Praxis
der Fall so, daß dieses Gepräge der formalen
Lösung anheimfällt, den Verhältnissen und
Dimensionen, der Verteilung der Massen und
dem Vortrag der gesamten Bewältigung. Wenn
ein Bau Charakter, Typus, Art, Bedeutung und
Geltung, repräsentative Würde haben muß,
muß er sie aus den künstlerischen Gesetzen der
konstruktiven Anlage haben, — es ist wie im
Leben: Haltung und Würde sind nicht durch
äußeres Gehaben, sondern aus wesentlichen
Verhältnissen bestimmt......' Heinrich gekon
 
Annotationen