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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Urzidil, Johannes: Schöpferische Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0325

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Schöpferische Kunstbetrachtung.

Gesamtanlage verschieben, das Kunstwerk als
das Tertium comparationis in Unordnung brin-
gen. Deswegen lieben wir Kunstwerke, die mit
gleichmäßiger Kraft ihr reales Substrat auf der
einen, ihre Ideen auf der andern Seite asso-
ziieren. Je metaphorischer aber Kunstwerke
sind, umso wahrer, umso tiefer, umso weiter,
umso lehr- und umso genußreicher sind sie.

Sowohl Kunsterlebnis als auch Kunstbetrach-
tung sind getragen von Assoziationen. Ein
Kunstwerk, das ohne Assoziationen auf uns
wirken würde, hätte die niederschmetternde
Gewalt einer Naturerscheinung (Pyramyden).
Die Möglichkeiten der Assoziationen die ein

Kunstwerk hervorrufen kann, sind an sich un-
begrenzt. Der Assoziationskomplex, der das
primäre Kunsterlebnis darstellt, ist dunkel. Die
Kunstbetrachtung hebt ihn in die Helle des
Bewußtseins. Hier erhält er aber außerdem
neue unerwartete Assoziationskräfte, die ihn
wie derum in einen dunkeln Erlebniskomplex ver-
wandeln. Die so entstehende Bewegung erhält
bei großen Kunstwerken den Charakter eines
perpetuum mobile. Jede einzelne Assoziation
gehört so für sich mehrmals hintereinander, bis
zur völligen Sättigung des Beschauers, den Sphä-
ren des Erlebnisses und der Betrachtung gleich-
mäßig an. Da es aber nicht bloß auf die Asso-
 
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