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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Breuer, Robert: [Vom Ornament]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0338

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JOHANNES SCHIFFNER—

BERLIN.
»DER GROSSE FLIEGER«

Die grundsätzliche, ästhetisch
oder gar ethisch geschützte
Feindschaft gegen das Ornament
ist kaum berechtigter und auch
nicht fruchtbarer als der gedanken-
lose Mißbrauch, der das Orna-
ment wie einen wilden Spuk um-
herwuchern läßt. Mit dem Puris-
mus, der sich auf die gerade Linie
und die glatte Fläche zurückzieht,
ist es nicht getan. Denn wie hef-
tig auch immer solche Askese ihr Prinzip als
das allein seligmachende erklärt, es schlägt
doch bald die Stunde, da hier ein Künstler
und dort ein Künstler sich nicht mehr zu zügeln
vermag und dem in ihm wohnenden Trieb
zu Spiel und Ausdruck freien Lauf lassen muß.
Ein Muß, das durch die Beobachtung der
Kunstgeschichte und ihres beständigen Wech-
sels vom Konstruktiv-Logischen zum Leiden-
schaftlich-Schwelgerischen, vom Intellektuellen
zum Sinnlichen, vom Kühlen zum Glühenden
beinahe metaphysischen Charakter bekommt.
Noch immer hat es sich als eine falsche Pro-
phezeiung erwiesen, wenn man Ornament und
Pathos, Schmuck und Überfluß, Rausch und
Phantastik für endgültig überwunden erklärte.
Das Ornament muß wohl von Zeit zu Zeit ver-
blühen oder gar sterben, aber es hat dennoch
ewige Wiederkehr.

Wie für alle Kunst, so ist auch für das Orna-
ment das entscheidende Kriterium: ob es be-
herrscht wird, oder ob es sich willkürlich ein-
stellt, ob es aus der Gesamtheit der Form fort-
gedacht werden kann, oder ob es mit ihr eine
Ganzheit bildet, ob es ein Zufallsprodukt der
Schwäche, eine Verdeckung von Mangelhaftig-
keit ist, oder das Hervorbrechen und Sichtbar-
werden von überschüssiger Kraft und betonen-
dem, unterstreichenden Gestaltungsdrang. —
Das künstlerisch gerechtfertigte Ornament ist

ein Leuchtturm, es ist zugleich ein
Blickschacht; es lockt das Auge
und nötigt es, zu beharren, aufzu-
spüren, zu bohren. Das Ornament
ist nicht eine Verschleierung, son-
dern eine Entklärung der Funktion,
es verdeutlicht das Strebende eines
Pfeilers, das Lastende und Glie-
dernde eines Gesimses, das Um-
spannende einer Wand. Das Orna-
ment soll nicht verdunkeln, noch
verwirren; es soll Einblick gewähren. Es kommt
darum nicht von außenher geflogen, um träge
irgendwo zu nisten; es quillt vielmehr aus inne-
rem Überfluß nach außen. Es ist vorhanden,
ehe es sichtbar wird.

Ein Ornament, das fortgenommen werden
kann, ohne daß eine Lücke bleibt, ohne daß der
Körper oder die Wand, die es trägt, scheinbar
zusammenbricht, ist kein Ornament, vielmehr
eine Gedankenlosigkeit, kein Reichtum, sondern
Armut. Das Ornament muß, wenn es Bestand
und Geltung haben soll, gewissermaßen ein Teil
der Konstruktion sein und untrennbar zum Or-
ganismus des Ganzen gehören.

Das Ornament empfiehlt einen Bauteil der
besonderen Betrachtung, es verstärkt die Ge-
lenkpunkte, es zwingt das Auge sich festzu-
saugen, sich zu sammeln, sich zu konzentrieren.
Das Ornament ist ein Fenster, durch das zu-
gleich der Zweck und die Geburt seines Hinter-
grundes den angelockten und aufgewühlten
Sinnen sich erschließt. Das Ornament ist wie
eine Blütenkrone oder wie Duft, der aus ihrem
Kelche dringt, die Insekten zu rufen, damit sie
die Bestäubung vollbringen. Das künstlerische
Ornament ist der Schlüssel zum Geheimnis des
Seins und Wirkens des Ornamentträgers, des
Gegenstandes oder des Bauteils, aus dem es
hervorströmt, und in dessen Wesen es den Blick
einzudringen zwingt.....

ROUERT UREUER.

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